Der Despot ist kompliziert - Joker oder wie wir bekommen, was wir (wirklich) verdienen



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„Diese leichten törichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu sehen - das verführt Zarathustra zu Tränen und Liedern.
Ich würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.
Und als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, feierlich; es war der Geist der Schwere - durch ihn fallen alle Dinge.
Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man. Auf, lasst uns den Geist der Schwere töten!“ (Nietzsche 2012, S. 389)

In einem seiner vielen Hiebe gegen das Christentum / Loblieder auf das Leben, spricht Nietzsche als Zarathustra Vom Lesen und Schreiben. Das kommt nicht von ungefähr, bekundet Nietzsche doch gleich zu Anfang, dass er von allem nur das liebt, das in Blut geschrieben wird. Der reine Lesende ist seiner Meinung nach derjenige, der den gelesenen Gedanken nicht verinnerlicht, sondern lediglich aus fehlgeleitetem Pflichtgefühl abarbeitet. Wenn Sprüche Gipfel werden, kann der oder die Sprechende aus der Perspektive der verinnerlichten Offenbarung hinabschauen und die schwarzen Gewitterwolken erkennen, denen er oder sie entflohen ist. Das Auswendiglernen braucht in dieser Passage nicht wörtlich verstanden zu werden, sondern steht wie der Berg selbst für die Verinnerlichung einer aus der Verinnerlichung resultierenden unbehinderten Sicht. Das ins Blut Eingeschriebene wird erkannt und damit auch formbar. Zarathustras Jünger sollen sich nicht länger damit aufhalten, das ihnen Eingeschriebene abzulesen, sondern damit beginnen, das Schreiben zu übernehmen. Das stellt den Menschen vor ein (Schein-)Problem. Verliert nicht der, der erkannt hat, dass nichts auf natürliche Weise ins Blut (bzw. den Körper) eingeschrieben oder gegeben ist, jeglichen Bezug zur und damit Verantwortung gegenüber der Realität? Hieraus lassen sich zwei Extreme ableiten, die einander hassen und doch bedingen. Der Diener einer (vermeintlich) natürlichen Begebenheit verteidigt die willkürliche Kennzeichnung. Der Rebell verschmilzt mit der Maske, die er sich selbst gibt, wird ein Diener seiner selbst. Beide Seiten beziehen sich aufeinander, weil der Diener des natürlichen Rechts, den wir den Despoten nennen wollen, in letzter Distanz auf die Validierung durch den anderen angewiesen ist. Da die Natur, wie alle Technomaterialisten („if nature is unfair change nature“) wissen, aber keine Ordnung vorschreibt, gerät der Despot in ein Dilemma, weil er im Dienst seiner eigenen Ansprüche dem Rebellen nicht zugestehen kann, natürlicher zu sein. Alles in der despotischen Ordnung und nicht zuletzt ihr Herrschaftsanspruch, hängt am Faden der Traumwelt, in der das Gesicht mit der Maske unabänderlich verwachsen ist. Nach Deleuze und Guattari sucht der Despot sich deswegen Hilfe in der archaischen Sprache. Im Mythos. In der Fiktion, die nach Natur klingt. In der Fiktion, die sich ins Fleisch einschreibt:

"Der den Schmerzensritualen Ausgesetzte spricht nicht, aber er erhält das Wort. Er agiert nicht, leidet unter der graphischen Handlung, erhält den Stempel des Zeichens. Und was ist sein Schmerz anderes als Freude für das ihn betrachtende Auge, das kollektive oder göttliche Auge, das, von keinem Rachegedanken beseelt, nur imstande ist, den subtilen Bezug zwischen den in den Körper geritzten Zeichen und der von einem Gesicht sich lösenden Stimme herzustellen - zwischen der Kennzeichnung und der Maske. Zwischen diesen beiden Elementen des Code gleicht der Schmerz einem Mehrwert, den das Auge entnimmt, indem es die Wirkung des tätigen Wortes auf den Körper, aber auch die Reaktion des der Aktion unterworfenen Körpers festhält." (Deleuze/Guattari 1974, S. 243)

Beide können einander nicht ausstehen. Für den Despoten ist der Rebell ein Spötter, für den Rebellen ist der Despot ein Gefangener. Der Rebell hingegen hat alle Abhängigkeit von der Validierung abgelegt. Im Universum hat er einen mächtigen Verbündeten. Gleichzeitig zeigt sich die Abhängigkeit des Despoten vom Rebellen. Schließlich muss sich die Stadt immer abgrenzen von den dummen und zurückgebliebenen Hügelmenschen. Macht das den Rebellen frei? Schließlich schaffen es eine Menge Rebellen in den Mythos des Despoten: Trickster, Teufel, Anarchisten. Es muss eine Version des Rebellen geben, die dem Despoten nicht gefährlich werden kann. Dann kann auch der Urstaat lachen. Warum? Die Antwort ist einfach: Er ging aus dem Rebellen hervor und muss nun die hinunterstarren, die unten in den Gewitterwolken seiner Paranoia lauern, um einen Vatermord zu begehen und selbst Vater zu werden. Der Rebell brennt sich mitunter die Zeichen selbst ins Fleisch, um zu einer Karikatur des Despoten zu werden. Da er verdammt ist, Seite an Seite mit dem Despoten zu leben, dem er zu entfliehen versucht, sieht er sich gezwungen immer wieder aufs Neue unter Beweis zu stellen, dass er frei ist. Es hat einen Grund, warum die überwiegende Mehrheit der Revolutionen im Laufe der Geschichte in noch despotischere Regime umgekippt ist. Der Rebell kann scheitern, nicht nur weil der Despot ihn mit Gewalt vernichten kann, sondern auch, weil er glaubt, mit der Maske verwachsen zu müssen, die er sich gibt. Nietzsche hat auch einen Begriff für diese Form der abhängigen Negation entwickelt: Ressentiment. Der Rebell macht sich selbst zum Gespött. Es ist ein selbstverstärkender Kreislauf. Können wir ihn durchbrechen? Dann müssen wir uns das Fundament dessen besinnen, was das Neue zuvor stark werden ließ und die Angst des Despoten schürt: Die Formlosigkeit. Nietzsche hat auch das erkannt, indem er uns auffordert nicht nur über das alte zu spotten, sondern auch Verantwortung für das Neue, das Experimentelle zu übernehmen. Der (moderne) Mensch, der den Mythos an sich reißt, anstatt ihn bloß zu lesen bzw. anzunehmen, ist, wie Bruno Latour und andere feststellten, dennoch rar gesät. Nietzsche ist seit über hundert Jahren tot, doch der Mythos lebt. Seine Zeichen haben sich gewandelt, nicht jedoch der despotische Klammergriff der Scheinordnung, die niemandem dient, außer sich selbst. Die Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikat (Bezeichnern und Bezeichnetem) war immer schon beliebig, weswegen eine Kritik an Signifikanten bzw. den Repräsentationen immer impotent bleiben wird, sofern sie zu schwach oder nicht willens ist, das eigentliche Signifikat angreifen. Ansonsten bleiben die Versprechen der Moderne unerfüllt, weil entleert von modernen Menschen. Nietzsche wusste um dieses Dilemma und fasste es elegant in einem Satz zusammen:

„Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?“ (Nietzsche 2012, S. 389)

Der blutende Gott


Die vielleicht wichtigste Geschichte um Loki als Spötter des altnordischen Pantheons dreht sich vermutlich um den Mord an Balder, der in Asgard als schönstes, reinstes Wesen gilt, das alle Götter mit Liedern zu Tränen rührt. Eines Tages träumt er schlecht und alle anderen in Asgard sind darüber in Sorge. Um schlimmeres zu verhindern, zieht Frigg los, um alle anderen Wesen einen Eid schwören zu lassen, Balder niemals Schaden zuzufügen. Alle willigen ein bis auf die Mistel. Sie gilt als zu zart und schön, um in der Lage zu sein, irgendwem zu schaden. Loki will das sofort auf die Probe stellen. Er pflückt einen Mistelzweig und überredet Hödr, Balders blinden Bruder, einen Pfeil in die Luft zu schießen. Die Mistel trifft Balder tödlich. Der Vorhang fällt. Im Schock erkennen sie in Loki nicht nur den Mörder, sondern verurteilen ihn umso vehementer, weil sie sich selbst zum Narren machten. So oder so: Loki gewinnt, indem er enthüllt, dass er gewinnen kann. Liegt im Eingeständnis der Verblendung nicht die Wahrheit um Balders Tod? Es sind die Götter, die in ihrem Käfig sitzen und sich zu sicher fühlen.

„Ich sah Balder,
dem blutenden Gott,
Odins Sohne,
Unheil bestimmt:
ob der Ebne stand
aufgewachsen
der Zweig der Mistel,
zart und schön.“ 
(Genzmer 2006, S. 36)

Der Mord an der Illusion war immer eine Posse, die sich in der Rache reproduziert. Was machen wir aus dem Possenreißer Loki? Sperren wir ihn weg und sprechen wir ihm die Macht ab, beim nächsten Mal mit einem Weltenbrand zurückzukehren und uns alle umzubringen? Setzen wir das Spiel damit nicht lediglich fort? Ecce Homo. Im despotischen Staat regiert die natürliche Künstlichkeit. Ihm ist das Blut nur Ketchup, auch wenn es echt ist. Können wir der Paranoia entkommen, indem wir uns temporär an der Seite des Tricksters wiedererkennen? Der Käfig des Narren ist eine Illusion, die gleichwohl zum Motiv wird. Der Rächer jagt die, die sich an ihm rächen wollen. Die Asen beraten einander und jagen den Mörder ihrer Träume, weil sie den Träumen selbst nicht ans Mark können. Leben sie nicht selbst die Lüge? Ist Balder, diese Anmaßung der kosmischen Harmonie, nicht die eigentliche Monstrosität, der eigentliche Schurke, der uns zu lange schon eingelullt hat mit seinen Flötenklängen? Ein Rattenfänger ist er, der unsere Kinder im Fluss ersäuft, wenn es ihm nützt. Wie viele Riesen hast du umgebracht, Odin, um in Asgard zu sitzen? Dein Mensch, er war nie ein guter. Apokalypse, im etymologischen Sinne, bedeutet Entschleierung, Enthüllung. Ragnarök, der Weltenbrand, ist die Einsicht, dass alles nicht so funktioniert hat, wie es erträumt worden ist. Was den Mistelzweig versehentlich zur Waffe machte, wurde die Entschleierung zum Tode Balders. Der Schwur, Balder den Schönen vor allem Leid zu schützen, pervertiert das Versprechen, ihn halten zu können. Humor ist ein Reiter der Apokalypse. Der Vertrag der Einigung kapselt (vermeintlich) das Mögliche von Unmöglichem ab. Doch liegt es nicht an uns zu definieren, was möglich oder unmöglich ist. Das Apollinische ist nicht himmlisch, sondern die Arroganz, eine Grenze zwischen Schönheit und Hässlichkeit festlegen zu wollen. Das wunderbare an polytheistischen Glaubenssystemen ist, dass sie eine Sprache finden, die sowohl das Gesetz im Mythos als auch die Absurdität des Mythos als Gesetz beinhalten. Dein Lebenswerk, das du der Menschheit übergibst, landet in den Händen deiner (wahrhaftig) gestörten Schwester, die es an die Nazis verschachert, während du im Irrenhaus gefangen bist. Menschlich, allzu menschlich. Traue nie dem schönen Bild. Ecce Homo. Alles lacht.
Der Wahnsinn des Tricksters hat kein Ziel, nur eine Methode. Wenn er Blut an den Zähnen trägt, stellt sich uns die Gänsehaut auf. Nicht weil es uns stört, denn tief im Inneren verstehen wir, doch der Despot hat uns verboten, uns stören zu lassen. Der Sieg des Trickster ist seine Demütigung.

„Seht ihr nicht“, sagen sie, „Balder droht zu sterben!“
Die PolitikerInnen der Kategorie Thomas Wayne antworten: „Wir haben verstanden. Alle Mistelzweige werden einkassiert.“
„Was ist mit der besorgten Zypresse?“
„Ach, die besorgte Zypresse? Die ist doch so jung, zart und unschuldig! Wir sollten uns lieber Was kann da schon geschehen! Jetzt übertreiben sie mal nicht, nicht alle Menschen sind schlecht!“
„Sie spammt das Internet mit kek.kek.kek. und fantasiert darüber, alle Normies umzubringen.“
„Lass sie doch besorgt sein!“
„Aber… sie hat schon jemanden auf dem Gewissen.“
„Das war ein Einzeltäter…“

Der Trickster war nie unser Freund, aber sein Wirken zeigt uns etwas. Balder ist tot. Wir haben ihn getötet. Wie trösten wir uns, Mörder aller Mörder? Sie tanzen auf dem Vulkan, denn sie wissen nicht, was sie tun. Loki will den Vulkan kitzeln, um das Gottfigürchen an der Spitze brennen zu sehen. Die Theater der Grausamkeit und der Absurdität müssen auch in der Vorstellung verschmelzen, wo sie doch in der Wirklichkeit schon immer real gewesen sind. Wäre es nicht an der Zeit, endlich mal aus dem Schabernack der Trickster zu lernen? Wo ist er, dieser moderne Mensch?

Rational denkenden Menschen bzw. solche, die sich für rational denkend halten, ist der Gedanke einer modernen Mythologie immer noch zuwider. Anders lassen sich die negativen Reaktionen auf Todd Philipps‘ Version des Joker (2019) nicht erklären. Dem Mythos singen seine Alarmsirenen. Die Vernunft bewahrt uns vor dem Spott, also müssen wir die Vernunft der Aufklärung vor dem Spott bewahren. Der Spötter sieht das anders. Von Don Quixote zu Dada und Memes. Wir erinnern uns: Opfer des Spotts hat im Bild des despotischen Staates von der Ikonografie des Spötters immer nur der andere zu sein. Verrat an diesem Ehrenkodex bestraft der Despot durch Exkommunikation. Betrachtet man Joker (2019) durch diese Linse, ergibt manche impulsive Abstoßungsreaktion Sinn. Wo der Clown lachend auf das andere zeigt, richtet der Killerclown die Waffe gegen sich selbst. Er erschießt sich und das Publikum, zieht nicht nur Gelächter, sondern auch den Zorn und die Verwirrung des Saals auf sich. Der Clown lacht nur. Die Krankheit als Pointe durchbricht den Mythos, aus dem sie hervorgegangen ist, ohne ihn zu verlassen und trägt die Wüste zurück in die bürgerliche Illusion des Theaters. Der Killerclown deterritorialisiert die Bedingungen, aus denen er hervorgegangen ist:

"Die Schizophrenie als Prozeß ist die Wunschproduktion, aber nur wie [168] sie am Ende, als Grenze der von den Bedingungen des Kapitalismus determinierten gesellschaftlichen Produktion in Erscheinung tritt. Sie ist unsere 'Krankheit', die des modernen Menschen. Keinen anderen Sinn hat die Rede vom Ende der Geschichte. Und in sich vereinigt sie wieder die beiden Bedeutungen des Prozesses: Bewegung der gesellschaftlichen Produktion, die bis ans Ende ihrer Deterritorialisierung treibt, und Bewegung der metaphysischen Produktion, die den Wunsch auf eine neue Erde trägt, ihn dort reproduziert. 'Die Wüste wächst ... das Zeichen ist nah …' Der Schizo reißt die decodierten Ströme mit sich, läßt sie die Wüste des organlosen Körpers durchqueren, wo er seine Wunschmaschinen errichtet und einen fortwährenden Ausfluß wirkender, Kräfte erzeugt.“ (Deleuze/Guattari 1974, S. 168/169)

Die Pointe des Killerclowns ist der Selbstmordpakt mit dem Mythos. Das Gambit der Killerclowns ist ein Erkennungszeichen der Grenzen einer Mythenerzählung, besser noch: Sie sind Symptome, dass ein verschleierter Horizont der Deterritorialisierung erreicht ist. Dort kündigt sich ein Grenzverschiebung an (Der despotische Staat findet das grundsätzlich widerwärtig). In dieser Funktion ist er sehr alt, hat es in mancher Kultur sogar auf Titelseiten der Mythologie geschafft, und zwar insbesondere dort, wo keine Institutionen über die Einhaltung der despotischen Regeln bestimmen kann. Die Quintessenz einer solchen Figur hat die monotheistische Gewaltherrschaft in der frühmittelalterlichen Edda überlebt: Loki. Vielleicht ist das auch beabsichtigt: Mit ihrer Gerissenheit und ihrem Spott waren Trickster für Götter und Sterbliche unersetzlich, aber auch zerstörerisch. Loki hilft den Göttern, die Riesen auszutricksen. Es ist aber auch Loki, der Balder tötet und Ragnarök herbeiführt. Trotzdem trinkt er mit den Göttern in Asgard, die ihn als ihresgleichen anerkennen, sind sie doch unter Wanen, Riesen, Elfen und Zwergen selbst Scharlatane, die sich nur durch Machtverschiebungen in den Mittelpunkt drängen konnten. Loki ist Macht und Machtmissbrauch, die manifeste Beliebigkeit eines jeden Herrschaftsanspruchs. Damit ist er auch die schizophrene Grenze der altskandinavischen Gesellschaft und, auf metaphysischer Ebene, der absurde Kosmos selbst. Doch der Götterwohlwollen kann nur ein bestimmtes Maß an Bewegung ertragen. Die Wüste wächst, bis der Trickster es zu weit treibt. Für Balders Tod wird Loki eingekerkert, nur um mithilfe seiner Nachkommen, den Monstren, Ragnarök einzuleiten. Der Witz geht damit hier und immer schon auf Kosten der Götter, die seit Anbeginn der Zeit nicht wissen, wie sie mit Spötter umzugehen haben. Im Polytheismus war der Clown der Götterschlächter. Auf Wunsch des Despoten verschwand diese Assoziation im Monotheismus.

Wenn eine Mythologie erwachsen wird, was bleibt ihr anderes übrig, als die Kinder und Kindsköpfe einzusperren? Gegenüber dem Paganismus sahen sich Judentum, Christentum, Islam und in Asien der Buddhismus als die Erwachsenen. Dabei findet genau im Gegenteil eine Verkindlichung statt: Der Trickster wird zum Tölpel, zur Inkarnation der Unfähigkeit und Hilflosigkeit. Der Teufel, der all die Signifikanten der heidnischen Spöttergötter aufsaugt, soll Gottes Strahlkraft nie erreichen können. Vorgeblich kann er nur dem Menschen Schaden zu fügen. Der Trickster wird neutralisiert, aber nicht hingerichtet, denn der Despot braucht den Spötter, um ihn jagen und bestrafen zu können. Dies ist eine interessante Entwicklung, wenn man bedenkt, dass hinter den Kulissen die Päpste, Könige und Kalifen eifrig weiter gegeneinander intrigieren. Die impotente Version des Trickster tauft der Despot Narr. Der Narr ist ein machtloses und impotentes Requisit am Hof des Herrschers von Gottes Gnaden, der ihm die Herrschaft Gottes und die Allianz mit Gott eben nicht absprechen, sondern das Andere als Sinnbild des Idioten bestätigen soll. Der Status als Kuriosität schützt den Körper des Narren (ein Schutz, der dem heidnischen Trickster oftmals nicht zugestanden wurde). Man sagt sich Narrenmund tut Wahrheit kund, meint aber: Dummheit spricht für sich selbst. Der Narr kann straffrei Wahrheit oder Lüge sprechen, denn unter den Augen des Despoten glaubt ihm ohnehin niemand. War die kindische Boshaftigkeit der mythischen Trickster noch ausgeglichen mit ihrer Gerissenheit und damit Ausdruck eines ambivalenten Teilaspekts menschlicher Psyche, wird dem Narren der Subjektstatus entzogen. Er wird das Objekt Dummheit, das lediglich der Belustigung und Unterhaltung dienen kann. Die Bühne des Mittelalters ist dem Narren damit ein Himmel im Käfig. Erst mit dem Einzug der Moderne wird die Kunst sein Tempel und der Trickster weiß ihn sich einzurichten mit all den Absurditäten, die der Mensch in der Zwischenzeit ersonnen hat. Ecce Homo.

Eine der grundlegenden Pathologien des Menschseins ist im Verhältnis von Schmerz und Sinn zu suchen. Die Mehrheit ist bereit, im Dienst des Despoten ein Leben voller Schmerzen auf sich zu nehmen, sofern sie denn einen zu oft von Profiteuren dieser Schmerzen vordefinierten Sinn ergeben. Dieser Sinn wird im Prinzip der Schuld eingetrieben, die einen Schuldner voraussetzt. Was schuldet dir die Welt, fragen sie. Was schulde ich der Welt, frage ich. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Wir sollten nicht mehr den mythischen Schmerz suchen, sondern den Schmerz im Erschaffen von Mythen. Wir sollten nicht mehr den Schmerz für das Dogma des Sinns erdulden, sondern sinnhaften Schmerz suchen. Sinnhafter Schmerz ist Affirmation. Verachte die einfachen Antworten, denn sie sind zu schön, um wahr zu sein. Wo nur Rollen auf einer Bühne gespielt werden, gibt es keine wahre Freiheit. Nietzsche wie seinen Erben in Deleuze und Guattari war bewusst, dass der Körper seine Lust-Leiden Beziehung zur Unterwerfung unter die „Sprache der Erde“, das Selbstverständliche und Unhinterfragte, was in dem Vorgang, den Levi-Strauss Bricolage nannte, aus dem Geist in Resonanz mit der Umwelt erwächst, nur schwer aufzugeben bereit ist. Den Mythos zu überwerfen, das Schreiben der wahnsinnigen Geltungssucht unter der Nase zu entreißen, erfordert es die Gewalt gegen die Zeichen zu ertragen. Dabei müssen wir lernen, im Eifer der Ablehnung nicht eben zum Werkzeug des Mythos in unserer eigenen Unterdrückung zu werden. Hierzu dürfen wir uns nicht weismachen lassen, dass der Mythos lediglich in uns seine radikalste und kompromissloseste Gestalt annimmt. Die Revolution von Gestern ist der Konservatismus von Morgen. Ecce Homo. Die Schöpfung ist ein Witz auf Kosten des Nichts, Bewusstsein ist ein Witz auf Kosten der Schöpfung, die Gesellschaft ist ein Witz auf Kosten des Bewusstseins und Kunst ist ein Witz auf Kosten der Gesellschaft.

Nicht umsonst zielen all die Diktatoren und Fundamentalisten zuerst auf die Satire, die ihr nicht den Respekt entgegenbringt, den sie sich einbilden zu verdienen. Aber was können sie selbst doch lästern über die DemokratInnen und die Freizügigkeit! Wenn Diktatoren und Fundamentalisten an der Macht sind, zögern sie nie lange damit, die ihnen Unliebsamen dem Spott auszusetzen, den sie vorher im eigenen Interesse doch so geißelten, und sie im Dienste des eigenen Selbstbildes in den dunklen Wolken am Fuße des Berges ihrer eigenen Überheblichkeit gefangen zu halten. Der Nazi ist immer solange ein Opfer, bis er eigene Opfer piesacken kann. Hier spotten Signifikanten über Signifikanten, Repräsentationen über Repräsentationen, Bilder über Bilder. Dem Drang nach Kritik des Status Quo lediglich (etwa in einem Fernsehinterview) mit der Bestätigung der Legitimität dieser Kritik, nicht jedoch mit einer Praxis zu begegnen, erzeugt ein Klima, das dem zerstörerischen Spieltrieb des Tricksters ein Substrat ist, indem er gedeihen kann. Der Scheinaktivismus neoliberaler PolitikerInnen, etwa durch das Signifikantenspiel mit der Political Correctness, schadet eben nicht nur den Übeltätern, sondern auch den Leuten, die durch diese sozioprogressive Repräsentation geschützt werden sollen. Keiner bzw. eine Minderheit spottet über die Bildenden. Keiner zerschlägt die Spiegel. Der Spötter als Prinzip kennt weder Moral noch Nachspiel, kein Gewinnen oder Verlieren. Er krallt sich in die „neue“ Wokeness und beginnt sie überall, wo er sie sieht zu verspotten, weil er all das Schauspiel als Maskerade empfindet, womit er eben zu einem geringen Teil (!) auch recht hat. Auch das ist keine neue Beobachtung. Wie sehr spotten die riesigen Tempel im Vatikan der christlichen Idee der Nächstenliebe und Bescheidenheit? Wie sehr widersprechen die Attacken aus dem Vampirschloss gegen Contentcreator wie Contrapoints dem eigenen Anliegen, eine solidarische und gerechte Gesellschaft zu schaffen? Selbsterhebung oder Überheblichkeit? Wenn sich die Gunst der Geschichte verschiebt, rächen sich all die angestauten Ressentiments in derselben Sprache, aus der sie entstanden sind. Der Trickster nimmt sich diese Heuchelei vor, ohne etwas verändern zu wollen. Die Genugtuung, recht gehabt zu haben, ist ihm genug. Mal beteiligt er sich am Exozismus, mal inszeniert er sich als Opfer. Das findet der Spötter zum Schreien. Alles Erhobene hier bleibt Anhängsel der tiefhängenden Gewitterwolken, der Spötter ein Klassenclown.

Sir, das war lustig, aber wir sehen immer noch nichts!“
„Hat gerade ein Blitz das Triebwerk getroffen?“
„Der Haifisch, der hat Zähne…“, antwortet Brecht.
„Windmühlen auch“, sagt Don Quixote.

Der despotische Staat erträgt diese Wirklichkeit nicht und beginnt noch vor der Enthüllung der Pointe an der Bühne zu zimmern, um im Nachhinein behaupten zu können, das nichts geschieht, geschehen ist oder geschehen wird. Die Bühne soll einhegen, dem Wahnsinn Methode geben, von der Tatsache ablenken, dass das Theater der Absurdität und das Theater der Grausamkeit ein und dasselbe sind. Mutation ist die einzige Wahrheit und der Technomaterialist als moderner Mensch die einzige Lösung. Das Lachen zeigt sich wie so vieles andere auch als eine Bösartigkeit jenseits der Moral. Es ist die Stimme des Abgrunds und in der eigenen Verneinung Flucht vor dem Abgrund. Doch der wird uns der eigene Abgrund immer einholen. Wer kann sich dazu durchringen ihm ins Gesicht zu sehen und der Dunkelheit die feige Selbstgewissheit aus dem Leib zu starren. Erst derjenige wird sich erhoben und lachend durch die Welt bewegen. Wir am Leuchtturm des 21. Jahrhunderts wissen, dass der Mythos den meisten Menschen lieber ist als die Leere der Möglichkeiten und das Leere unausweichlich selbst zum Mythos wird. Wir wissen nun, dass der Mythos sich überwirft im Lachen. Wir sind nur nicht bereit es uns einzugestehen. Sollte es demnach im vollständigen Mythengefüge zwischen den Göttern der Barmherzigkeit und der Blitze nicht auch einen Platz für den Gott der Spötter geben? Wie kann es eine Revolution ohne Clowns geben? Vorsicht ist geboten, denn sie sind nachtragend. Eine erfolgreiche Revolution setzt voraus, dass wir die Clowns ebenso austricksen, wie wir sie unsere Gegner vorführen lassen. Ecce Homo. Sonst bekommen wir nie das, was wir (wirklich) verdienen.

Der Abgrund hat Humor


Der Clown wurde als Narr geboren. Der Begriff Clown leitet sich aus dem Englischen ab und bedeutet so viel wie Bauerntölpel. Die Bezeichnung wird etwa seit der Renaissance verwendet. Zurück geht die Figur aber auf die Antike. Sie ist definiert durch eine visuell tollpatschige Form des körperlichen Humors, der erst in der Ära des Films (etwa, um die Filme von Charlie Chaplin zu beschreiben) einen bezeichnenden Namen erhielt: Slapstick. Hier ist noch die reine Narrengestalt, ein Relikt des Mittelalters zu sehen – eingekerkert im Käfig seiner Bühne unter den wachsamen Augen des despotischen Staates. Es ist schwer festzumachen, wann genau sich dieses Verständnis änderte. Jedenfalls halfen dabei wohl auch reale Vorfälle, die durch den Aufstieg des massenmedialen Komplexes selbst eine unbeabsichtigte, urbane Mythologisierung erfahren durften. Reale Serienmörder wie John Wayne Gacy, die als Clowns arbeiteten und Morde begingen, standen für den Archetypus eines neu alten Monsters Modell, das, beabsichtigt oder nicht, dem kosmischen Nihilismus des 20. Jahrhunderts ein Gesicht verlieh. Wissenschaft und Kapitalismus rissen die Schleier der alten Welt herunter, nur um vor einem Zwinkersmiley zu stehen. In Stephen Kings Es ist Pennywise der Clown mit seinen roten Ballons die Verkörperung des systemischen Bösen, ein metaphorischer Ursprung von Korruption und Hass, die selbst das Gesicht eines Widerspruchs, eines monströsen Spotts annimmt. Das Universum, so vermittelte uns die Erkenntnis, empirisch belegt und historisch manifest, war ein Theater der absurden Grausamkeiten. Gott konnte nur noch wahnsinnig sein, weswegen Nietzsche so viel an Dionysos findet. In Watchmen von Alan Moore und Dave Gibbons steht der Comedian für menschliche Abgründe, aber auch für den Staat, der diese Abgründe zu nutzen weiß, ohne es jemals zugeben zu wollen. Der mit Blut befleckte Smiley-Button veränderte auch die Welt der Comics. Dem Despoten missfällt das, aber es gelingt ihm immer wieder mitzuziehen und sich anzupassen.

Trägt der Teufel des 21. Jahrhunderts also das Gesicht eines verzerrten Clowns? Nein, denn der Teufel der monotheistischen Mythengefüge ebenso wie der Clown im Zirkus sind Narren in Käfighaltung. Es reicht nicht, aus einem Clown ein Monster zu machen. Das wäre lediglich eine Verschiebung der Signifikanten und bedeutungslos. Der Despot hat ihnen schließlich per Dekret und Vorschrift des Himmels befohlen, keine Relevanz in der Gesellschaft zu haben. Somit wird der Teufel, der Narr im Käfig, in einem System, das auf Schuld und Sühne vor dem Despoten basiert, paradoxer Weise zu einem Modus Operandi, der Verantwortung externalisiert, ausschließt und leugnet, während er sie an anderer Stelle in Form von blindem Gehorsam und Pflichtgefühl einfordert. Der Killerclown andererseits weiß um die Tatsache, dass es keinen Käfig gibt, aus dem er sich nicht herauswinden kann. Er ist mehr als ein Narr und lebt die Parodie des Despoten. Der Teufel ist unsere Selbstlüge, die den Trickster unbeobachtet wirken lässt, solange dieser sich unsichtbar im Wasser der etablierten Signifikanten zu bewegen weiß, bis es zu spät zum reagieren ist. Was wir nicht sehen, sagen wir uns, geschieht nicht. Was einen Namen hat, dem sprechen wir ein Eigenleben ab. Es sind Deleuze und Guattari, die mit diesen unsrigen Unsinnigkeiten aufzuräumen gedenken. Doch ist es anstrengend ihnen zuzuhören. Lieber lachen wir über die geschminkten Tölpel, die im Zirkus über die eigenen Füße stolpern, neu aufgelegt im Bathos der Marvel-Filme. Währenddessen segelt Loki, geschminkt und ungestört, an Bord seines Totenschiffs, das nicht länger aus Fingernägeln (welch unendlich naive Vorstellung die Wikinger doch von ihrem Weltenbrand hatten), sondern aus Konzentrationslagern und Atombomben gebaut ist. „In die nukleare Vernichtung!“, ruft der Killerclown vom Deck der Naglfar. Der Staat kann das nicht ertragen. „Aber bitte nur bürokratisch administriert, mit Stempel, drei Unterschriften und (pseudo-)wissenschaftlich objektifiziert“, stellt der Despot richtig, sich den Angstschweiß von der Stirn wischend, den Finger am roten Knopf. Wir hatten keine Wahl, Herr General. Doch, habt ihr, grinst der Killerclown. Wir sind das Spiegelbild, das zu seiner Belustigung die selbstzerstörerischen Handbewegungen ausführt. Ecce Homo. Der Staat will lieber, dass alles endet, damit wir nicht erkennen, was wir uns selbst angetan haben. Auch hier versteht der Despot seine eigene Natur nicht. Der größte Witz ist wohl, dass die Apokalypse dann doch nie wirklich ein Untergang ist, nur ein Weltenbrand, ein Lauffeuer, ein Witz auf Kosten des Ausführenden. War nicht Nietzsche der größte Komödiant der Aufklärung, weil er als einer der ersten, aus dem Narren wieder den Trickster machte? Der Clown als Narr im Käfig flieht vor der Welt in die Dunkelheit der einfachen Vulgarität von Fäkalwitzchen und Stolperfallen. Der Killerclown geht weiter als der Staat, überschreitet Grenzen und zeigt auf die totale Vernichtung, nach der sich der Despot so offensichtlich sehnt. Wir müssen den Killerclown in ein artgerechtes Gehege sperren. Ein Trickster mit Auslauf kommt nicht so schnell auf dumme Ideen. Doch stehen wir hier nicht vor einem Dilemma? Wie können wir den Trickster im Käfig halten, ohne einen Narren aus ihm zu machen? In der Kunst sollten wir ihn wüten lassen, nicht jedoch in der Gesellschaft. Das bringt uns zum Killerclown der Moderne…

Achtsamer Weltenbrand


Die Genese der Figur des Jokers findet als Narr Einlass in die Popkultur. 1940 fand der Joker in Batman #1 sein Debüt. Clown und Fledermaus bewerfen sich mit Requisiten, die nur auf einer Bühne hausen können. Brav, bürgerlich. Wäre es dabeigeblieben, wäre der Joker ein beliebiger weiterer Meisterkrimineller mit Slapstick-Gimmicks geblieben. Wie kann es grausam sein, wenn es absurd ist? Zwischen 1940 und 1960 blieb der Joker Narr, harmloser Irrer, Requisite des Staates, der in der Rolle von Batman dem Irren sein Benehmen einprügeln konnte. Ein Echo der verwaisten Bühne findet sich allerdings noch im Batman-Film von Tim Burton (1989) und Jack Nicholson als Gangsterclown. Hier mischt sich der kindliche Humor aber bereits mit empirischer Boshaftigkeit. Batman hat die Tür nur einen Spalt zu weit offengelassen. Was da mit der Pinguinschar für ein Dreck hereingeschleust wird! Dies ist aber noch eine Welt, in der Superschurken entstehen, indem sie in den Chemikalienkessel fallen und in der man sich zu Tode lachen darf, solange das Grinsen sich in die Künstlichkeit verzieht. Es handelt sich in vielerlei Hinsicht ein Übergangswerk für den Joker, für Batman und den Comicfilm generell. Joker und Batman sind durch den Mord an den Waynes Schicksalsverbundene, denn sie dienen demselben Herrn. Die Rache des einen erschafft den anderen. Slapstick. Alles ist so bürgerlich und küchenpsychologisch gehalten, dass kein Zweifel bestehen kann, dass sich hier eine Traumwelt der Erwachsenen an der Traumwelt der Kinder rächt. Die Bühne wird nicht verlassen. Alles ist in Ordnung, kehren Sie doch bitte auf ihre Plätze zurück!

Der von Alan Moore und Brian Bolland geschaffene und ein Jahr (1988) zuvor erschienene Batman: The Killing Joke zeichnet ein anderes Bild und tritt die Tür weit auf, die von der Kulturindustrie nur halbherzig abgeschlossen worden war. Hier tritt der Joker erstmals in Rückblenden (charakterlich) als Arthur Fleck auf. Innerhalb eines schlechten Tages erlebt er den Tod seiner schwangeren Frau, versagt als Stand-Up Comedian und wird von der Mafia betrogen. Erst dann fällt er in die ominösen, charakterverbiegenden Chemikalien, die ihm sein ikonisches Äußeres verleiht. Der Joker will sich selbst zum Possenreißer machen, indem er dem Commissioner des Staates Jim Gordon einen ähnlich schlimmen Tag bereitet. Es wäre schön, wenn es nicht wahr wäre. Es ist gerade lustig, weil es wahr ist. Die Schminke ist nicht mehr der Abgrund und der Abgrund starrt zurück. Irgendwo da draußen in diesem Jahrzehnt verkündet eine Topfpflanze namens Thatcher, dass es keine Gesellschaft gibt. Das wird noch ein Brüller, das verspreche ich euch! Batman, der Despot, setzt dem Spaß ein Ende, aber nicht, ohne dem Possenreißer das letzte Wort zu überlassen. Schließlich sitzen Loki und Odin in derselben Anstalt ein. Doch wo Odin Mimir ein Auge abgetreten hat, um Weisheit zu erlangen, warf doch Loki gleich beide in den Brunnen! So ist es auch verständlich, wenn der Comic mit einem Witz endet, über den sowohl Batman als auch der Joker lachen können:

„Da sind diese beiden Typen im Irrenhaus … und eines Tages wollen sie dort nicht mehr länger bleiben. Sie beschliessen also zu fliehen! Sie steigen aufs Dach und dort, nur einen kleinen Sprung entfernt, sehen sie die Dächer der Stadt, die im Mondlicht vor ihnen liegen … die sie in die Freiheit führen. Und der erste Typ springt auf’s nächste Dach, kein Problem. Aber sein Freund, der traut sich nicht. Er … er hat Angst zu fallen. Aber der andere hat eine Idee. Er sagt: ‚Hey! Ich hab `ne Taschenlampe! Ich leichte über den Abgrund und du kannst auf dem Strahl rüberlaufen!‘ A-Aber der andere schüttelt nur den Kopf. Er sa-sagt … Er sagt: ‚J-ja glaubst du, ich bin irre!? Du würdest sie ausmachen, wenn ich halb drüben bin!‘“ (Moore/Bolland 2009, S.49)

Balder stirbt, wenn das Licht ausgeht, aber war ein blutender Gott jemals lebendig? Noch bleibt der Schaden begrenzt. Wer weiß schon, ob die Falklandinseln nicht doch etwas wert sind? Nicht einmal Rosen bringen sie ihm, nur dieses schäbige Gelächter! Doch haben wir Angst davor, dass Balder fallen wird, denn er ist das schönste aller Dinge. Nur Batman darf gewinnen, den Imperativ hat er uns schließlich ins Blut geschrieben. Wäre doch schlimm, wenn all die Arbeit umsonst gewesen wäre, oder? So erzählen wir die Geschichte, dass Balder eine Brücke ist. Der Trickster behält recht, auch wenn er selbst gerade gescheitert ist. Joker kann fallen, ob die Brücke nun existiert oder nicht. Es ist ihm egal, denn er weiß, was da draußen lauert. Batman glaubt, nur sanft hinabgleiten zu können. Mit dieser Erkenntnis gelangt der Joker in das 21. Jahrhundert und die Intensität nimmt zu.

In The Dark Knight (2008) macht Heath Ledger aus dem Charakter ein Archetyp des Chaos, dem die Autorität (Polizei, Justiz, klassische Kriminelle, Batman) hinterherhechelt, um einen verlorenen Status Quo wiederherzustellen. Doch die Apokalypse, die Entschleierung ist bereits im vollen Gange. Der Joker kennt nur Eskalation. Dementsprechend gelingt dem Despoten der Sieg nur in der Lüge, die in The Dark Knight Rises direkt wieder auseinanderfällt. Auch gelingt es dem maskierten Rächer nicht, seinen Kontrahenten in den Tod stürzen zu lassen, denn der Despot hat Angst vorm Fallen. Er will den Clown wegsperren, nicht umbringen, denn der Despot muss recht behalten. Dem Killerclown ist es einerlei. Er kann fallen und will dabei nur lachen. Der Killerclown existiert, um ein Fundament der Ordnung zu erniedrigen, das schon keines mehr ist. Christopher Nolans Batman-Reihe wird oftmals konservativ interpretiert, aber es ist ein ähnlicher Konservativismus wie der in Vampirgeschichten des Gothic-Horrors. Die alten Spukhäuser und Steingemäuer sind nun die Wolkenkratzer und Highways der Banken und SUVs. Der Kapitalismus war ein Witz auf Kosten des Adels. Nun gerät er selbst in die Schusslinie, die er sich errichtet hat. Wie der Vampir den sterbenden Adel persiflierte, hat der Killerclown den Verfall des Thatcherismus an sich gerissen. So überrascht es nicht, dass The Dark Knight im Jahr 2008, dem Jahr der Finanzkrise so erfolgreich war. Ob Heath Ledger den Zustand der Welt in seine Rolle einfließen ließ? Doch noch hat der Clown nicht gewonnen. Er hängt am Faden der Lüge, wird wieder heraufgezogen. Der Hyperrealismus setzt ein. In den darauffolgenden Marvel- und DC-Filmen ist der Clown wieder Bühne. Alles ist ironisch und sinnentleert. Was sich währenddessen in der realen Welt abspielt, wird beunruhigender.

Seit den 1980ern, zuletzt 2016, gab es immer wieder Berichte über das Erscheinen von Personen, die sich als verstörende Clowns verkleideten, um in der Nacht auf offener Straße Leute zu erschrecken. Ob diese Beobachtungen letztendlich der Wahrheit entsprechen oder nicht spielt keine Rolle. Sie geistern seitdem als Creepy Pasta durch die Medien, werden von der Polizei (der Ordnung) aufgegriffen. Man veranstaltet Clownsjagden, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Paranoia greift um sich. 2016 schafften es EngländerInnen und AmerikanerInnen, sich bei der Suche nach Jägern von Horrorclowns die Horrorclowns in die Regierung zu wählen. Eigentlich müsste man Thatcher an einen Stuhl binden und zwingen hinzusehen. Alle Welt sucht nach Falklandinseln. Aber der Despot braucht nicht zu sehen, nur zu erklären. Dieses Vorgehen hat ihm immerhin schon seit Anbeginn der Zeit dabei geholfen, sich selbst umzubringen. Was ihm die Augen zeigen ist das, was er sich im Kopf bereits zurechtgelegt hat. Auf in die Selbstvernichtung, ähm, Kekistan meine ich. Menschen haben unter Organismen ein seltsames Alleinstellungsmerkmal: Sie tendieren dazu, die Fiktion in die Wirklichkeit zu rufen, wenn es zu passen scheint.

Joker (2019) von Todd Philipps erzählt die Geschichte von Arthur Fleck, einem gebeutelten jungen Mann, der noch bei seiner Mutter wohnt und davon träumt Stand-Up Comedian zu werden. Er ist psychisch krank, weil er unkontrolliert lachen muss, und arm, weil die soziale Gerechtigkeit nur in der Glotze vor sich hin brabbelt. Ein anderes Fernsehgesicht, Murray Franklin (gespielt von Robert De Niro) hingegen ist sein großes Vorbild, das sich für diese Verantwortung revanchiert, indem es den glücklosen Comedian vor aller Welt zum Gespött werden lässt. Seine Mutter hat ihn belogen. Er verliert seine Arbeit als Clown. Die Beziehung, die er glaubte zu haben, stellt sich als Wahnvorstellung heraus. Es läuft nicht gut. Aber was ist mit den Falklandinseln? Flecks Bitterkeit fängt in der Öffentlichkeit an laut loszulachen, weil es sich in sein Blut eingeschrieben hat, was ihm noch stärkere Probleme einbringt. Noch ist der Witz nicht zu Ende erzählt. Als Fleck in der U-Bahn den Zorn von drei betrunkenen Bankern auf sich zieht, erschießt Fleck die respektablen Angestellten von Thomas Wayne und findet Gefallen daran. Das Gleiten in den Abgrund vollzieht sich episodisch. Die Gründe sind ebenso banal wie pathologisch, ökonomisch ebenso wie persönlich. Daher ist es falsch, dem Film vorzuwerfen, er würde alles auf das Persönliche reduzieren. Das Gesellschaftliche brandmarkt das Persönliche. Der Despot schreibt im Blut, das er für selbstverständlich hält. Der Trickster verspritzt all das Blut, um sich die Lippen blutig malen zu können. Das, was darin geschrieben steht, interessiert ihn nicht. Deswegen sitzt er auf dem Sofa von Robert De Niro und behauptet, er wäre unpolitisch. Sein Leiden ist ihm ins Blut übergegangen. Der Despot hat sich selbst ein Bein gestellt. Das Theater der Grausamkeit ist dasselbe wie das Theater der Absurdität. Die Killerclowns überfluten unsere Straßen! Will nicht jemand etwas unternehmen?

Thomas Wayne (ist es ein Zufall, dass der Schauspieler Ronald Reagan so ähnlichsieht?) lebt in einer Welt, die sich an der Oberfläche abspielt, weil er das Pathos der gerechten Worte mit der vermeintlichen Realität verwechselt. Ganz im Sinne des neoliberalen Mythos kann in Balders Garten, diesem Land der Lieder und der Schwüre, nur der Realist, das vernunftbegabte Individuum, die aus dem Ruder geratene Gesellschaft wieder zusammenbringen. Alle sollen sie versprechen, die Political Correctness zu achten! Dann wird schon niemand zu Schaden kommen. Außer die Zypresse, die ist schlecht fürs Geschäft. Der kann man eh nichts beibringen! Thomas Wayne ist der Balder dieses Zeitalters, der durch Jokers Pfeil auf dem Bogen der Blinden zugrunde gehen wird.

So begegnen sich Joker und Thomas Wayne wie zwei gegenläufige Diagonalen, die sich an einem Punkt durchaus im fatalistischen Sinne überkreuzen werden. Todd Philipps spricht hier eine Warnung aus, die sich im großen Ganzen bereits bewahrheitet hat. All die Zitate aus Taxidriver (1976) sind signifikant. Vor allem ist wichtig, dass Robert De Niro, der einst Travis Bickle spielte, nun einer der Hauptantagonisten ist. Man kann dem Regisseur mangelnde Kreativität vorwerfen, aber dann hätte man ihm De Niro vielleicht als Cameo zur Seite gestellt. Warum der Wechsel vom Sympathieträger der Entfremdung zum Antagonisten des liberalen Establishments? Der Film verweist hier auf der Metaebene sehr deutlich auf die Diskrepanz zwischen Repräsentation und Wirklichkeit.  Die alt Right ist ein Ergebnis des inhärenten Widerspruchs von der die Menschlichkeit untergrabenden Neoliberalisierung und der die Menschlichkeit  (auf der Repräsentationsebene) einfordernden Political Correctness, der Aufkündigung des Generationsvertrages bei gleichzeitiger Betonung individueller Verantwortung, die Beschwörung der universellen Wertegemeinschaft unterwandert von schleichender Gentrifizierung. Der Hollywoodschauspieler kann das Leiden einer Epoche auf die Leinwand bringen, ohne jemals davon berührt worden zu sein. Von allen Seiten wird nur noch über Signifikanten und nicht mehr Signifikate geredet wird. Was wir derzeit allerorts erleben ist ein Musterschauspiel der Fehler, die Deleuze im dogmatischen Gedankenbild der Repräsentation erkannt hat. Der Film stellt dies auf meisterhafte Weise her. Joker ist auch ein Hilfeschrei. Es ist bezeichnend, dass sich Arthur Fleck und Thomas Wayne nur aus der Distanz begegnen. Es ist symptomatisch, dass sich Thomas Wayne in einem neoklassischen Prachtbau Modern Times von Charlie Chaplin, den Narren auf der Bühne, ansehen kann, ohne zu verstehen, dass er auch mit seinen vielleicht progressiven Zielen in einem Saal der Illusionen sitzt. Das philanthropische Selbstbild der social corporate responsibility hält in Kulturtempeln Schwarz-Weiß-Mahnwachen für die Armut ab. Die Zukunft wurde abgesetzt. Der Despot will, dass sich alles nach seinem Willen wiederholt. Nur zieht er damit den Zorn des Tricksters auf sich, den er für einen unfähigen Narren hält, zumindest solange bis ihm von der Geschichte ein Messer in den Rücken gerammt wird. Ecce Homo.

Des Kaisers alte Kleider


Dieses Bewusstsein für die Tragweite des eigentlichen Problems zeigt sich auch im Umgang des Films mit psychischen Störungen. Zum ersten Mal seit Mark Fisher wird hier politisch über psychische Gesundheit gesprochen. Dabei spielt es keine Rolle, welche Diagnose gestellt worden ist. In der Kritik steht der psychotherapeutische Komplex, der von weltanschaulichen Menschenbildern und neuroliberaler Ideologie durchdrungen ist. Psychologie ist keine objektive Wissenschaft, sondern eine hermeneutische. Psychologen sehen das natürlich anders. Aber Subjekte untersuchen hier nicht eine unabhängig von uns existierende Natur. Subjekte untersuchen andere Subjekte – Subjekte, die von der Gesellschaftsmaschine auf historisch spezifische Weise zu Objekten gemacht worden sind. Der Hype um die sogenannte Achtsamkeit, die einer Form des Junkfood-Buddhismus entspringt, die im Westen seit D. T. Suzuki verbreitet ist, steht hier für eine besonders perfide Aufforderung zur Selbsthilfe, wie sie das dominierende Prinzip der Psychotherapie im 21. Jahrhundert ist. Kluge Köpfe werden hier bereits die Parallele zur neoliberalen Individualisierung des Glücks erkennen. Auch damit hat der Film ein Hühnchen zu rupfen. Hilfe bedeutet in diesem Kontext nämlich (und diese Feststellung ist fundamental) Hilfe zur Anpassung, weil die Veränderung der Welt als solche nicht in Frage kommt (kapitalistischer Realismus). Da diese Anpassung aufgrund von Neurodiversität nicht allen Individuen möglich ist (Manche können Stress besser ertragen als andere), spürt der Andere auf den Schultern stets den Druck, normal sein zu müssen, ohne es zu können. Er ist der humpelnde Marathonläufer, der zur Teilnahme an Bestleistungen gezwungen wird. Die neoliberale Konnotation des Normalseins sieht in einer Weigerung nur Ausflüchte. Der Sport in diesem Kontext heißt Glücklichsein. So müssen psychische Bedenken stets als objektiver Tatbestand vorliegen, um bei der Beurteilung einer Arbeit als zumutbar berücksichtigt zu werden – obwohl (und das ist Fakt), viele psychische Diagnosen sehr schwammig definiert sind und letzten Endes immer an die Funktionsfähigkeit im neoliberalen Alltag, nicht das eigene Wohlbefinden, gekoppelt sind. Wer es nicht schafft, muss krank oder unfähig sein oder beides. In den Umständen (von Stress, Leistungsdruck, ökonomischer Indifferenz etc.) erkennt der psychotherapeutische Komplex keine Faktoren, die krank machen. So ist es falsch, wenn auch häufig zitiert, bspw. eine Depression mit einem gebrochenen Knochen zu vergleichen. Depression ist die Cholera, die man sich durch dreckiges Wasser einfängt, das eine Gesellschaft zu trinken ausgibt, wenn keine richtige Kanalisation existiert. McMindfulness reinigt keine Trinkwasserquelle, hilft aber die eigentlichen Ursachen zu ignorieren. Natürlich ist es falsch, alle Verantwortung an die Gesellschaft abzugeben, sich zum eigentlichen Opfer zu erklären. Das können die Nazitrolle gut. Individuum und Gesellschaft sind verwoben, ohne dass wir die Fäden wirklich auseinanderdividieren könnten. Doch genau diese Verabsolutierung versucht der neoliberale Individualismus auf der anderen Seite und schießt sich damit selbst ins Knie.

Was der despotische Staat Arthur Fleck ins Blut eingeschrieben hat, wird ihm und anderen zum Verhängnis. Das Versprechen der Thomas Waynes dieser Welt, dass der Erfolg eines Lebens sich nur an einer erfolgsorientierten Karriere messen lässt, und der Zwang der Mutter, dabei als „Happy“ immer nur ein Lächeln aufsetzen zu dürfen, führen gemeinsam in eine schizophrene Vorhölle, deren Existenz der neoliberale Mythos vom allmächtigen Individuum dann auch noch leugnet. Das Genie von Todd Philipps ist es, die Krankheit nicht als biologisches Faktum zu kommunizieren, aber gleichzeitig zu zeigen, dass die Charaktere daran glauben, biologisch nicht gleich viel wert zu sein. Gegen Ende des Films hat Joker den Biologismus, den man ihm vorgerechnet hat, internalisiert. Individuum und Gesellschaft sind eine Einheit im (vermeintlich) unpolitischen Attentat. (Homo Oeconomicus + McMindfulness): Misserfolg = Killerclown. Wie Loki Verdamnis und Spiegelbild der Asen ist, wird Joker Verdammnis und Spiegelbild des postfordistischen Tycoons, dem sich der neoliberale Staat unterworfen hat.

Es geht nicht darum, den Grundsatz der Psychologie im 21. Jahrhundert in Frage zu stellen: Alle psychischen Vorgänge sind gleichzeitig biologisch. Diese Kritik ist nicht mit einem aufklärungsfeindlichen Romantizismus zu verwechseln. Statt aber Veränderungen im Hormonhaushalt als simultanen Ausdruck unausgeglichener Emotionen zu verstehen, also aus Biologie und Psychologie zwei Seiten derselben Münze zu machen, wird daraus in der neoliberalen Psychiatrie ein nicht empirisch gestütztes Ursache-Wirkungsgeflecht abgeleitet: Der emotionale Ausnahmezustand entsteht, weil bspw. ein Mangel von Serotonin vorliegt. Diese Schlussfolgerung ist logisch natürlich nicht falsch, wird im Sinne einer Tautologie aber zu einem redundanten Zirkelschluss, weil wir das Biologische und das Psychologische ja bereits gleichgesetzt haben. Etwas da draußen in der Umwelt kann einem genauso gut (metaphorisch betrachtet) das Serotonin aussaugen. Serotonin ist der Schuldeneintreiber des Spätkapitalismus: Haben Sie schon diese Pillen probiert oder dieses Buch gelesen? Sport getrieben, richtig gegessen? Was ist mit Meditation? Wollen sie nicht doch zum Sparpreis von 2000€ im Jahr ins Kloster? Nein? Also dann sind sie natürlich selbst schuld… es besteht kein Anspruch auf Schadensersatz (oder Sozialleistungen). Die Biologie wird in den Zustand einer materialistischen Transzendenz erhoben, die, wie der Ödipuskomplex der Psychiatrie des 20. Jahrhunderts, an mancher Stelle funktioniert (gewisse Anomalien in der Gewebestruktur des Gehirns können gewisse Störungen auslösen oder verstärken), an anderen Stellen aber wirkungslos bleibt oder sogar Schaden anrichtet, weil sie sich an der Verschleierung der eigentlichen (sozialen, politischen, ökonomischen) Ursachen mitschuldig macht. In die Lücke springt die Ideologie der Selbstoptimierung, die ein homöopathisches Spülwasser teuer vermarktet und all jene abfängt, die sich nicht trauen krank zu sein.

Achtsamkeit, Antidepressiva, Yoga, Selbsthilfewundertüten. Die Welt wird zum chemisch und basisdemokratisch kontrollierten Irrenhaus. Verrückt sind die, die noch können, weiß Konstantin Nowotny in seinem wunderbaren Onlineartikel für den Freitag. Im Neoliberalismus gilt die Gesellschaftsmaschine, der Sozius, als alternativlos, weswegen (vermeintlich) nur Symptome behandelt werden können. So dürfte es kein Zufall sein, dass das Lachen sich bei Arthur Fleck einerseits dem Wunsch zuordnet, eine Karriere als Comedian zu starten bzw. Clown zu bleiben, und sich andererseits als psychopathologische Störung manifestiert, die ihm im Alltag allerlei Probleme bringt. Auch wenn wir all diese Konzepte als sozial konstruiert akzeptieren, hat die Natur als Mengengefüge das letzte Wort. Wir werden eben nicht im Sinne der liberalen Utopie als unbeschriebenes Blatt, als tabula rasa geboren und dieser Verantwortung will sich der Despot nicht stellen. Er will lediglich den Status Quo, seinen Traum vom Gesellschaftsvertrag erhalten. Joker verkörpert hier die tiefe Spaltung zwischen dem durch Achtsamkeit optimiertem Ideal des funktionierenden Subjekts und den multiplen, dysfunktionalen, miteinander ringenden Kräfte eines realen Bewusstseins, das versucht sich beieinander zu halten und scheitert, was der Zuschauer als unkontrolliertes, bellendes Lachen erfährt.. Doch Joker wäre lediglich ein passabler Film, würde er hier verweilen. Im deleuzischen Sinne weiß Todd Philipps, dass die durch den Despoten vorgefertigten Einschnitt auch die Saat von etwas unbeabsichtigt Neuem enthalten können. So stehen wir vor der eigentlichen Apokalypse, der Entschleierung: Ihr bekommt genau das, was ihr verdient…


Superhelden wie Batman sind demgegenüber die Idealgestalt des neoliberalen, postdemokratischen und politisch korrekten Subjekts, mit dem der Despot gerne identifiziert werden möchte. Bunt, auf der Höhe der Zeit, produktiv und loyal. Was macht der Film von Todd Philipps daraus? Batman existiert nicht. Joker ist ein Superheldenfilm ohne Superhelden und verhält sich zu seinem Genre wie sich die Serie Holocaust zum Heimatfilm der 50er Jahre verhielt. Er durchbricht Balders Traumbild der Makellosigkeit, um den verrotteten Leichnam des blutenden Gottes auf die Bühne zu zerren. Ecce Homo. Das Gelächter des Wahnsinns ist das letzte Codesegment, das Gotham noch beisammenhält. Was die Clowns dann betreiben ist nicht mehr Mord, sondern lediglich Leichenschändung. In Joker darf der Despot zusehen, wie seine Eltern zum x-ten Mal umgebracht werden. Der Film zeigt uns, wie sehr uns der Traum bereits zerfressen hat und wie sehr er uns noch zerfressen kann. Joker ist die Warnung vor der Hybris der (selbsternannten) Götter. Todd Philipps hilft uns, die realen Killerclowns zu verstehen, ohne sie zu glorifizieren. Statt auszubrechen, verbleibt Arthur Fleck in der Logik des Systems, spitzt sie zu und bringt sie dazu, über seinem Kopf zusammenzustürzen. Joker ist die kreative Zerstörung des neoliberalen Pantheons, die nicht leugnet in diesem Pantheon der internationalen Marktkonformität des Superheldenfilms zu sitzen. Todd Philipps hat damit einen Nerv der Zeit getroffen, ob er dies in diesem Umfang beabsichtigte oder nicht.

Im Film wird der Despot in seiner Machtlosigkeit bloßgestellt, über die er stets eine Lüge geschoben hat. Man hat die Kulturindustrie ein faules Ei untergejubelt, nicht lediglich eine Möglichkeit, die Parameter des Marktes neu zu justieren. Joker ist in diesem Sinne keine Entkräftung des Superhelden auf der Ebene des Genres wie z. B. Watchmen, sondern ein Angriff auf die Rolle der Superhelden als Produkt und ideologische Affirmation der globalisierten, neoliberalen Gesellschaft. Die liberale Presse hat den Geruch ignoriert und ein Spiegelei daraus gemacht. Markt und affirmative Marktopposition zerfleischen sich gegenseitig, weil sie den Film nicht verstanden haben. Der Selbstmordpakt zwischen dem Despoten und dem Trickster wird gleichsam offen gezeigt und nicht unter Sentimentalitäten versteckt, was für einen Hollywoodfilm beeindruckend ist. Joker ist für Todd Philipps kein Sympathieträger, kein Straßenmacho wie Travis Bickle bei Martin Scorsese, und sollte er es auch nicht sein. Arthur Fleck ist kein leeres Bild der Repräsentation, sondern Realität, die mit Gewalt in die Fiktion, die schöne Traumwelt einbricht. Ungeschönt extrapoliert. Ein Witz auf Studiokosten. Der Film kommt einer visuellen Desintegration von Ideen gleich. Joker (2019) ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern von Tim Burton und Christopher Nolan und auch in Abgrenzung zu ikonographischen Vorbildern wie Taxi Driver, ein zutiefst schizophrener Film und das macht ihn so wertvoll. Was machen wir nun daraus? Werden wir den Kreislauf vervollständigen, auf das neue Gleiche hoffen, was auch immer darauffolgt? Wird es immer einen Despoten und einen Trickster geben? Heben wir diese Welt aus den Angeln, bevor sie (wieder) untergehen wird? Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man… und der Film fragt uns auf unbequeme Weise: Wer von euch kann zugleich lachen und erhoben sein?

Literatur

Baudrillard, J. (1994). Simulacra and Simulation. Translated by Sheila Faria Glaser. Ann Arbor: University of Michigan Press.
Boesch, E. E. (1980). Kultur und Handlung. Einführung in die Kulturpsychologie. Bern/Stuttgart/Wien: Verlag Hans Huber.
Deleuze, G.–Guattari, F. (1987). A Thousand Plateaus. Capitalism and Schizophrenia. translation and foreword by Brian Massumi. Minneapolis: University of Minnesota Press.
Deleuze, G.–Guattari, F. (1974). Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie I. Übersetzt von Bernd Schwibs. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.
Fisher, M. (2014). Ghosts of My Life: Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures. Winchester/Washington: Zero Books.
Fisher, M. (2013). Exiting the Vampire Castle. Im Internet unter: https://www.opendemocracy.net/en/opendemocracyuk/exiting-vampire-castle/ (Stand: 6.11.2019)
Fisher, M. (2009). Capitalist Realism: Is There no Alternative?. Winchester/Washington: Zero Books.
Genzmer, F. (2006). Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen. Vollständige Ausgabe in der Übertragung von Felix Genzmer. München: Heinrich Hugendubel Verlag.
May, T. (2005). Gilles Deleuze. An introduction. Cambridge: Cambridge University Press.
Moore, A. – Bolland, B. (2009). Batman: The Killing Joke. Nettetal-Kaldenkirchen: PANINI Comics
Nietzsche, F. (2012). Gesammelte Werke. Köln: Anaconda Verlag.
Nowotny, Konstantin (10.10.2019). Verrückt sind die, die noch können. Im Internet unter: https://www.freitag.de/autoren/konstantin-nowotny/verrueckt-sind-die-die-noch-koennen (Stand: 03.11.2019)
Pirkl, B. (31.10.2019). Psychische Krankheit im Kapitalismus. Optimiere dich selbst. Im Internet unter: https://jungle.world/artikel/2019/44/optimiere-dich-selbst?fbclid=IwAR2tA4bD6R0uf-jfvC1O5skesw8GzgMFktu_iiUC8E8xaryxwtMVln_diVs (Stand 03.11.2019)
Purser, R. (2019). McMindfulness: How Mindfulness Became the New Capitalist Spirituality. London: Repeater Books.

Video-Essays

(Youtube) Coffin, Peter (01.11.2019). Joker, The Culture War and Pure Ideology | Very Important Docs26
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LeO Tiresias

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