Der Despot ist kompliziert - Joker oder wie wir bekommen, was wir (wirklich) verdienen
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„Diese
leichten törichten zierlichen beweglichen Seelchen flattern zu sehen - das verführt
Zarathustra zu Tränen und Liedern.
Ich
würde nur an einen Gott glauben, der zu tanzen verstünde.
Und
als ich meinen Teufel sah, da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, feierlich;
es war der Geist der Schwere - durch ihn fallen alle Dinge.
Nicht
durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man. Auf, lasst uns den Geist der
Schwere töten!“ (Nietzsche 2012, S. 389)
In
einem seiner vielen Hiebe gegen das Christentum / Loblieder auf das Leben, spricht
Nietzsche als Zarathustra Vom Lesen und Schreiben.
Das kommt nicht von ungefähr, bekundet Nietzsche doch gleich zu Anfang, dass er
von allem nur das liebt, das in Blut geschrieben wird. Der reine Lesende ist
seiner Meinung nach derjenige, der den gelesenen Gedanken nicht verinnerlicht,
sondern lediglich aus fehlgeleitetem Pflichtgefühl abarbeitet. Wenn Sprüche Gipfel werden, kann der oder die
Sprechende aus der Perspektive der verinnerlichten Offenbarung hinabschauen und
die schwarzen Gewitterwolken erkennen, denen er oder sie entflohen ist. Das Auswendiglernen
braucht in dieser Passage nicht wörtlich verstanden zu werden, sondern steht
wie der Berg selbst für die Verinnerlichung einer aus der Verinnerlichung resultierenden
unbehinderten Sicht. Das ins Blut Eingeschriebene
wird erkannt und damit auch formbar.
Zarathustras Jünger sollen sich nicht länger damit aufhalten, das ihnen
Eingeschriebene abzulesen, sondern damit beginnen, das Schreiben zu übernehmen.
Das stellt den Menschen vor ein (Schein-)Problem. Verliert nicht der, der
erkannt hat, dass nichts auf natürliche Weise ins Blut (bzw. den Körper)
eingeschrieben oder gegeben ist, jeglichen Bezug zur und damit Verantwortung
gegenüber der Realität? Hieraus lassen sich zwei Extreme ableiten, die einander
hassen und doch bedingen. Der Diener einer (vermeintlich) natürlichen
Begebenheit verteidigt die willkürliche Kennzeichnung. Der Rebell verschmilzt
mit der Maske, die er sich selbst gibt, wird ein Diener seiner selbst. Beide
Seiten beziehen sich aufeinander, weil der Diener des natürlichen Rechts, den
wir den Despoten nennen wollen, in letzter Distanz auf die Validierung durch
den anderen angewiesen ist. Da die Natur, wie alle Technomaterialisten („if nature is unfair change nature“)
wissen, aber keine Ordnung vorschreibt, gerät der Despot in ein Dilemma, weil
er im Dienst seiner eigenen Ansprüche dem Rebellen nicht zugestehen kann, natürlicher zu sein. Alles in der
despotischen Ordnung und nicht zuletzt ihr Herrschaftsanspruch, hängt am Faden
der Traumwelt, in der das Gesicht mit der Maske unabänderlich verwachsen ist. Nach
Deleuze und Guattari sucht der Despot sich deswegen Hilfe in der archaischen
Sprache. Im Mythos. In der Fiktion, die nach Natur klingt. In der Fiktion, die
sich ins Fleisch einschreibt:
"Der
den Schmerzensritualen Ausgesetzte spricht nicht, aber er erhält das Wort. Er
agiert nicht, leidet unter der graphischen Handlung, erhält den Stempel des
Zeichens. Und was ist sein Schmerz anderes als Freude für das ihn betrachtende
Auge, das kollektive oder göttliche Auge, das, von keinem Rachegedanken
beseelt, nur imstande ist, den subtilen Bezug zwischen den in den Körper
geritzten Zeichen und der von einem Gesicht sich lösenden Stimme herzustellen -
zwischen der Kennzeichnung und der Maske. Zwischen diesen beiden Elementen des
Code gleicht der Schmerz einem Mehrwert, den das Auge entnimmt, indem es die
Wirkung des tätigen Wortes auf den Körper, aber auch die Reaktion des der
Aktion unterworfenen Körpers festhält." (Deleuze/Guattari 1974, S. 243)
Beide
können einander nicht ausstehen. Für den Despoten ist der Rebell ein Spötter,
für den Rebellen ist der Despot ein Gefangener. Der Rebell hingegen hat alle
Abhängigkeit von der Validierung abgelegt. Im Universum hat er einen mächtigen
Verbündeten. Gleichzeitig zeigt sich die Abhängigkeit des Despoten vom
Rebellen. Schließlich muss sich die Stadt immer abgrenzen von den dummen und
zurückgebliebenen Hügelmenschen. Macht
das den Rebellen frei? Schließlich schaffen es eine Menge Rebellen in den
Mythos des Despoten: Trickster, Teufel, Anarchisten. Es muss eine Version des
Rebellen geben, die dem Despoten nicht gefährlich werden kann. Dann kann auch
der Urstaat lachen. Warum? Die Antwort ist einfach: Er ging aus dem Rebellen
hervor und muss nun die hinunterstarren, die unten in den Gewitterwolken seiner
Paranoia lauern, um einen Vatermord zu begehen und selbst Vater zu werden. Der
Rebell brennt sich mitunter die Zeichen selbst ins Fleisch, um zu einer
Karikatur des Despoten zu werden. Da er verdammt ist, Seite an Seite mit dem
Despoten zu leben, dem er zu entfliehen versucht, sieht er sich gezwungen immer
wieder aufs Neue unter Beweis zu stellen, dass
er frei ist. Es hat einen Grund, warum die überwiegende Mehrheit der
Revolutionen im Laufe der Geschichte in noch despotischere Regime umgekippt
ist. Der Rebell kann scheitern, nicht nur weil der Despot ihn mit Gewalt
vernichten kann, sondern auch, weil er glaubt, mit der Maske verwachsen zu
müssen, die er sich gibt. Nietzsche hat auch einen Begriff für diese Form der abhängigen Negation entwickelt: Ressentiment.
Der Rebell macht sich selbst zum Gespött. Es ist ein selbstverstärkender
Kreislauf. Können wir ihn durchbrechen? Dann müssen wir uns das Fundament
dessen besinnen, was das Neue zuvor stark werden ließ und die Angst des
Despoten schürt: Die Formlosigkeit. Nietzsche hat auch das erkannt, indem er
uns auffordert nicht nur über das alte zu spotten, sondern auch Verantwortung
für das Neue, das Experimentelle zu übernehmen. Der (moderne) Mensch, der den
Mythos an sich reißt, anstatt ihn bloß zu lesen bzw. anzunehmen, ist, wie Bruno
Latour und andere feststellten, dennoch rar gesät. Nietzsche ist seit über
hundert Jahren tot, doch der Mythos lebt. Seine Zeichen haben sich gewandelt,
nicht jedoch der despotische Klammergriff der Scheinordnung, die niemandem dient,
außer sich selbst. Die Beziehung zwischen Signifikanten und Signifikat
(Bezeichnern und Bezeichnetem) war immer schon beliebig, weswegen eine Kritik
an Signifikanten bzw. den Repräsentationen immer impotent bleiben wird, sofern
sie zu schwach oder nicht willens ist, das eigentliche Signifikat angreifen. Ansonsten
bleiben die Versprechen der Moderne unerfüllt, weil entleert von modernen
Menschen. Nietzsche wusste um dieses Dilemma und fasste es elegant in einem
Satz zusammen:
„Wer von euch kann zugleich lachen und
erhoben sein?“ (Nietzsche 2012, S. 389)
Der blutende Gott
Die
vielleicht wichtigste Geschichte um Loki als Spötter des altnordischen
Pantheons dreht sich vermutlich um den Mord an Balder, der in Asgard als
schönstes, reinstes Wesen gilt, das alle Götter mit Liedern zu Tränen rührt.
Eines Tages träumt er schlecht und alle anderen in Asgard sind darüber in
Sorge. Um schlimmeres zu verhindern, zieht Frigg los, um alle anderen Wesen
einen Eid schwören zu lassen, Balder niemals Schaden zuzufügen. Alle willigen
ein bis auf die Mistel. Sie gilt als zu zart und schön, um in der Lage zu sein,
irgendwem zu schaden. Loki will das sofort auf die Probe stellen. Er pflückt
einen Mistelzweig und überredet Hödr, Balders blinden Bruder, einen Pfeil in
die Luft zu schießen. Die Mistel trifft Balder tödlich. Der Vorhang fällt. Im Schock erkennen sie in Loki nicht nur den
Mörder, sondern verurteilen ihn umso vehementer, weil sie sich selbst zum
Narren machten. So oder so: Loki gewinnt, indem er enthüllt, dass er gewinnen
kann. Liegt im Eingeständnis der Verblendung nicht die Wahrheit um Balders Tod?
Es sind die Götter, die in ihrem Käfig sitzen und sich zu sicher fühlen.
„Ich
sah Balder,
dem
blutenden Gott,
Odins
Sohne,
Unheil
bestimmt:
ob
der Ebne stand
aufgewachsen
der
Zweig der Mistel,
zart
und schön.“
(Genzmer 2006, S. 36)
(Genzmer 2006, S. 36)
Der
Mord an der Illusion war immer eine Posse, die sich in der Rache reproduziert.
Was machen wir aus dem Possenreißer Loki? Sperren wir ihn weg und sprechen wir
ihm die Macht ab, beim nächsten Mal mit einem Weltenbrand zurückzukehren und
uns alle umzubringen? Setzen wir das Spiel damit nicht lediglich fort? Ecce Homo. Im despotischen Staat regiert
die natürliche Künstlichkeit. Ihm ist das Blut nur Ketchup, auch wenn es echt
ist. Können wir der Paranoia entkommen, indem wir uns temporär an der Seite des
Tricksters wiedererkennen? Der Käfig des Narren ist eine Illusion, die
gleichwohl zum Motiv wird. Der Rächer jagt die, die sich an ihm rächen wollen.
Die Asen beraten einander und jagen den Mörder ihrer Träume, weil sie den
Träumen selbst nicht ans Mark können. Leben sie nicht selbst die Lüge? Ist
Balder, diese Anmaßung der kosmischen Harmonie, nicht die eigentliche
Monstrosität, der eigentliche Schurke, der uns zu lange schon eingelullt hat
mit seinen Flötenklängen? Ein Rattenfänger ist er, der unsere Kinder im Fluss
ersäuft, wenn es ihm nützt. Wie viele Riesen hast du umgebracht, Odin, um in
Asgard zu sitzen? Dein Mensch, er war nie
ein guter. Apokalypse, im etymologischen Sinne, bedeutet Entschleierung,
Enthüllung. Ragnarök, der Weltenbrand, ist die Einsicht, dass alles nicht so funktioniert hat, wie es erträumt worden ist. Was den Mistelzweig versehentlich
zur Waffe machte, wurde die Entschleierung zum Tode Balders. Der Schwur, Balder
den Schönen vor allem Leid zu schützen, pervertiert das Versprechen, ihn halten
zu können. Humor ist ein Reiter der Apokalypse. Der Vertrag der Einigung
kapselt (vermeintlich) das Mögliche von Unmöglichem ab. Doch liegt es nicht an
uns zu definieren, was möglich oder unmöglich ist. Das Apollinische ist nicht
himmlisch, sondern die Arroganz, eine Grenze zwischen Schönheit und
Hässlichkeit festlegen zu wollen. Das wunderbare an polytheistischen
Glaubenssystemen ist, dass sie eine Sprache finden, die sowohl das Gesetz im
Mythos als auch die Absurdität des Mythos als Gesetz beinhalten. Dein
Lebenswerk, das du der Menschheit übergibst, landet in den Händen deiner
(wahrhaftig) gestörten Schwester, die es an die Nazis verschachert, während du
im Irrenhaus gefangen bist. Menschlich, allzu menschlich. Traue nie dem schönen
Bild. Ecce Homo. Alles lacht.
Der
Wahnsinn des Tricksters hat kein Ziel, nur eine Methode. Wenn er Blut an den
Zähnen trägt, stellt sich uns die Gänsehaut auf. Nicht weil es uns stört, denn
tief im Inneren verstehen wir, doch der Despot hat uns verboten, uns stören zu
lassen. Der Sieg des Trickster ist seine Demütigung.
„Seht ihr nicht“, sagen sie, „Balder
droht zu sterben!“
Die PolitikerInnen der Kategorie Thomas
Wayne antworten: „Wir haben verstanden. Alle Mistelzweige werden einkassiert.“
„Was ist mit der besorgten Zypresse?“
„Ach, die besorgte Zypresse? Die ist
doch so jung, zart und unschuldig! Wir sollten uns lieber Was kann da schon
geschehen! Jetzt übertreiben sie mal nicht, nicht alle Menschen sind schlecht!“
„Sie spammt das Internet mit
kek.kek.kek. und fantasiert darüber, alle Normies umzubringen.“
„Lass sie doch besorgt sein!“
„Aber… sie hat schon jemanden auf dem
Gewissen.“
„Das war ein Einzeltäter…“
Der
Trickster war nie unser Freund, aber sein Wirken zeigt uns etwas. Balder ist
tot. Wir haben ihn getötet. Wie trösten wir uns, Mörder aller Mörder? Sie tanzen auf dem Vulkan, denn sie wissen
nicht, was sie tun. Loki will den
Vulkan kitzeln, um das Gottfigürchen an der Spitze brennen zu sehen. Die
Theater der Grausamkeit und der Absurdität müssen auch in der Vorstellung
verschmelzen, wo sie doch in der Wirklichkeit schon immer real gewesen sind.
Wäre es nicht an der Zeit, endlich mal aus dem Schabernack der Trickster zu
lernen? Wo ist er, dieser moderne Mensch?
Rational
denkenden Menschen bzw. solche, die sich für rational denkend halten, ist der
Gedanke einer modernen Mythologie immer noch zuwider. Anders lassen sich die
negativen Reaktionen auf Todd Philipps‘ Version des Joker (2019) nicht erklären. Dem
Mythos singen seine Alarmsirenen. Die Vernunft bewahrt uns vor dem Spott,
also müssen wir die Vernunft der Aufklärung vor dem Spott bewahren. Der Spötter
sieht das anders. Von Don Quixote zu Dada und Memes. Wir erinnern uns: Opfer des Spotts hat im Bild des despotischen Staates von der Ikonografie des Spötters
immer nur der andere zu sein. Verrat an diesem Ehrenkodex bestraft der
Despot durch Exkommunikation. Betrachtet man Joker (2019) durch diese
Linse, ergibt manche impulsive Abstoßungsreaktion Sinn. Wo der Clown
lachend auf das andere zeigt, richtet der Killerclown die Waffe gegen
sich selbst. Er erschießt sich und das Publikum, zieht nicht nur Gelächter,
sondern auch den Zorn und die Verwirrung des Saals auf sich. Der Clown
lacht nur. Die Krankheit als Pointe durchbricht den Mythos, aus dem sie
hervorgegangen ist, ohne ihn zu verlassen und trägt die Wüste zurück in die
bürgerliche Illusion des Theaters. Der Killerclown deterritorialisiert
die Bedingungen, aus denen er hervorgegangen ist:
"Die
Schizophrenie als Prozeß ist die Wunschproduktion, aber nur wie [168] sie am
Ende, als Grenze der von den Bedingungen des Kapitalismus determinierten
gesellschaftlichen Produktion in Erscheinung tritt. Sie ist unsere 'Krankheit',
die des modernen Menschen. Keinen anderen Sinn hat die Rede vom Ende der
Geschichte. Und in sich vereinigt sie wieder die beiden Bedeutungen des
Prozesses: Bewegung der gesellschaftlichen Produktion, die bis ans Ende ihrer
Deterritorialisierung treibt, und Bewegung der metaphysischen Produktion, die
den Wunsch auf eine neue Erde trägt, ihn dort reproduziert. 'Die Wüste wächst
... das Zeichen ist nah …' Der Schizo reißt die decodierten Ströme mit sich,
läßt sie die Wüste des organlosen Körpers durchqueren, wo er seine
Wunschmaschinen errichtet und einen fortwährenden Ausfluß wirkender, Kräfte
erzeugt.“ (Deleuze/Guattari 1974, S. 168/169)
Die
Pointe des Killerclowns ist der Selbstmordpakt mit dem Mythos. Das
Gambit der Killerclowns ist ein Erkennungszeichen der Grenzen einer
Mythenerzählung, besser noch: Sie sind Symptome, dass ein verschleierter
Horizont der Deterritorialisierung erreicht ist. Dort kündigt sich ein Grenzverschiebung
an (Der despotische Staat findet das grundsätzlich widerwärtig). In
dieser Funktion ist er sehr alt, hat es in mancher Kultur sogar auf Titelseiten
der Mythologie geschafft, und zwar insbesondere dort, wo keine Institutionen
über die Einhaltung der despotischen Regeln bestimmen kann. Die Quintessenz
einer solchen Figur hat die monotheistische Gewaltherrschaft in der
frühmittelalterlichen Edda überlebt: Loki. Vielleicht ist das auch
beabsichtigt: Mit ihrer Gerissenheit und ihrem Spott waren Trickster für Götter
und Sterbliche unersetzlich, aber auch zerstörerisch. Loki hilft den Göttern,
die Riesen auszutricksen. Es ist aber auch Loki, der Balder tötet und Ragnarök
herbeiführt. Trotzdem trinkt er mit den Göttern in Asgard, die ihn als ihresgleichen
anerkennen, sind sie doch unter Wanen, Riesen, Elfen und Zwergen selbst
Scharlatane, die sich nur durch Machtverschiebungen in den Mittelpunkt drängen
konnten. Loki ist Macht und Machtmissbrauch, die manifeste Beliebigkeit eines
jeden Herrschaftsanspruchs. Damit ist er auch die schizophrene Grenze der
altskandinavischen Gesellschaft und, auf metaphysischer Ebene, der absurde
Kosmos selbst. Doch der Götterwohlwollen kann nur ein bestimmtes Maß an
Bewegung ertragen. Die Wüste wächst,
bis der Trickster es zu weit treibt. Für Balders Tod wird Loki eingekerkert,
nur um mithilfe seiner Nachkommen, den Monstren, Ragnarök einzuleiten. Der Witz
geht damit hier und immer schon auf Kosten der Götter, die seit Anbeginn der
Zeit nicht wissen, wie sie mit Spötter umzugehen haben. Im Polytheismus war der
Clown der Götterschlächter. Auf Wunsch des Despoten verschwand diese
Assoziation im Monotheismus.
Wenn
eine Mythologie erwachsen wird, was bleibt ihr anderes übrig, als die Kinder
und Kindsköpfe einzusperren? Gegenüber dem Paganismus sahen sich Judentum,
Christentum, Islam und in Asien der Buddhismus als die Erwachsenen.
Dabei findet genau im Gegenteil eine Verkindlichung statt: Der Trickster wird
zum Tölpel, zur Inkarnation der Unfähigkeit und Hilflosigkeit. Der Teufel, der
all die Signifikanten der heidnischen Spöttergötter aufsaugt, soll Gottes
Strahlkraft nie erreichen können. Vorgeblich
kann er nur dem Menschen Schaden zu fügen. Der Trickster wird
neutralisiert, aber nicht hingerichtet, denn der Despot braucht den Spötter, um
ihn jagen und bestrafen zu können. Dies ist eine interessante Entwicklung, wenn
man bedenkt, dass hinter den Kulissen die Päpste, Könige und Kalifen eifrig
weiter gegeneinander intrigieren. Die impotente Version des Trickster tauft der
Despot Narr. Der Narr ist ein
machtloses und impotentes Requisit am Hof des Herrschers von Gottes Gnaden, der
ihm die Herrschaft Gottes und die Allianz mit Gott eben nicht absprechen,
sondern das Andere als Sinnbild des Idioten bestätigen soll. Der Status als Kuriosität
schützt den Körper des Narren (ein Schutz, der dem heidnischen Trickster
oftmals nicht zugestanden wurde). Man sagt sich Narrenmund tut Wahrheit kund, meint aber: Dummheit spricht für sich selbst. Der Narr kann straffrei Wahrheit
oder Lüge sprechen, denn unter den Augen des Despoten glaubt ihm ohnehin
niemand. War die kindische Boshaftigkeit der mythischen Trickster noch
ausgeglichen mit ihrer Gerissenheit und damit Ausdruck eines ambivalenten
Teilaspekts menschlicher Psyche, wird dem Narren der Subjektstatus entzogen. Er
wird das Objekt Dummheit, das
lediglich der Belustigung und Unterhaltung dienen kann. Die Bühne des
Mittelalters ist dem Narren damit ein Himmel im Käfig. Erst mit dem Einzug der
Moderne wird die Kunst sein Tempel und der Trickster weiß ihn sich einzurichten
mit all den Absurditäten, die der Mensch in der Zwischenzeit ersonnen hat. Ecce Homo.
Eine
der grundlegenden Pathologien des Menschseins ist im Verhältnis von Schmerz und
Sinn zu suchen. Die Mehrheit ist bereit, im Dienst des Despoten ein Leben
voller Schmerzen auf sich zu nehmen, sofern sie denn einen zu oft von
Profiteuren dieser Schmerzen vordefinierten Sinn ergeben. Dieser Sinn wird im
Prinzip der Schuld eingetrieben, die einen Schuldner voraussetzt. Was schuldet dir die Welt, fragen sie. Was
schulde ich der Welt, frage ich. Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Wir
sollten nicht mehr den mythischen Schmerz suchen, sondern den Schmerz im
Erschaffen von Mythen. Wir sollten nicht mehr den Schmerz für das Dogma des
Sinns erdulden, sondern sinnhaften Schmerz suchen. Sinnhafter Schmerz ist
Affirmation. Verachte die einfachen
Antworten, denn sie sind zu schön, um wahr zu sein. Wo nur Rollen auf einer
Bühne gespielt werden, gibt es keine wahre Freiheit. Nietzsche wie seinen Erben
in Deleuze und Guattari war bewusst, dass der Körper seine Lust-Leiden
Beziehung zur Unterwerfung unter die „Sprache der Erde“, das
Selbstverständliche und Unhinterfragte, was in dem Vorgang, den Levi-Strauss Bricolage nannte, aus dem Geist in
Resonanz mit der Umwelt erwächst, nur schwer aufzugeben bereit ist. Den Mythos
zu überwerfen, das Schreiben der wahnsinnigen Geltungssucht unter der Nase zu
entreißen, erfordert es die Gewalt gegen die Zeichen zu ertragen. Dabei müssen
wir lernen, im Eifer der Ablehnung nicht eben zum Werkzeug des Mythos in
unserer eigenen Unterdrückung zu werden. Hierzu dürfen wir uns nicht weismachen
lassen, dass der Mythos lediglich in uns seine radikalste und kompromissloseste
Gestalt annimmt. Die Revolution von Gestern ist der Konservatismus von Morgen. Ecce Homo. Die Schöpfung ist ein Witz auf Kosten des Nichts, Bewusstsein ist ein
Witz auf Kosten der Schöpfung, die Gesellschaft ist ein Witz auf Kosten des
Bewusstseins und Kunst ist ein Witz auf Kosten der Gesellschaft.
Nicht
umsonst zielen all die Diktatoren und Fundamentalisten zuerst auf die Satire,
die ihr nicht den Respekt entgegenbringt, den sie sich einbilden zu verdienen. Aber was können sie selbst doch lästern über
die DemokratInnen und die Freizügigkeit! Wenn Diktatoren und
Fundamentalisten an der Macht sind, zögern sie nie lange damit, die ihnen Unliebsamen
dem Spott auszusetzen, den sie vorher im eigenen Interesse doch so geißelten,
und sie im Dienste des eigenen Selbstbildes in den dunklen Wolken am Fuße des
Berges ihrer eigenen Überheblichkeit gefangen zu halten. Der Nazi ist immer
solange ein Opfer, bis er eigene Opfer piesacken kann. Hier spotten
Signifikanten über Signifikanten, Repräsentationen über Repräsentationen,
Bilder über Bilder. Dem Drang nach Kritik des Status Quo lediglich (etwa in
einem Fernsehinterview) mit der Bestätigung der Legitimität dieser Kritik,
nicht jedoch mit einer Praxis zu begegnen, erzeugt ein Klima, das dem
zerstörerischen Spieltrieb des Tricksters ein Substrat ist, indem er gedeihen
kann. Der Scheinaktivismus neoliberaler PolitikerInnen, etwa durch das
Signifikantenspiel mit der Political
Correctness, schadet eben nicht nur den Übeltätern, sondern auch den
Leuten, die durch diese sozioprogressive Repräsentation geschützt werden
sollen. Keiner bzw. eine Minderheit spottet über die Bildenden. Keiner
zerschlägt die Spiegel. Der Spötter als Prinzip kennt weder Moral noch
Nachspiel, kein Gewinnen oder Verlieren. Er krallt sich in die „neue“ Wokeness
und beginnt sie überall, wo er sie sieht zu verspotten, weil er all das Schauspiel
als Maskerade empfindet, womit er eben zu einem geringen Teil (!) auch recht
hat. Auch das ist keine neue Beobachtung. Wie sehr spotten die riesigen Tempel
im Vatikan der christlichen Idee der Nächstenliebe und Bescheidenheit? Wie sehr
widersprechen die Attacken aus dem Vampirschloss
gegen Contentcreator wie Contrapoints dem eigenen Anliegen, eine solidarische
und gerechte Gesellschaft zu schaffen? Selbsterhebung oder Überheblichkeit? Wenn
sich die Gunst der Geschichte verschiebt, rächen sich all die angestauten
Ressentiments in derselben Sprache, aus der sie entstanden sind. Der Trickster
nimmt sich diese Heuchelei vor, ohne etwas verändern zu wollen. Die Genugtuung,
recht gehabt zu haben, ist ihm genug. Mal beteiligt er sich am Exozismus, mal inszeniert
er sich als Opfer. Das findet der Spötter zum Schreien. Alles Erhobene hier
bleibt Anhängsel der tiefhängenden Gewitterwolken, der Spötter ein
Klassenclown.
„Sir, das war lustig, aber wir sehen immer
noch nichts!“
„Hat gerade ein Blitz das Triebwerk
getroffen?“
„Der Haifisch, der hat Zähne…“,
antwortet Brecht.
„Windmühlen auch“, sagt Don Quixote.
Der
despotische Staat erträgt diese Wirklichkeit nicht und beginnt noch vor der
Enthüllung der Pointe an der Bühne zu zimmern, um im Nachhinein behaupten zu
können, das nichts geschieht, geschehen ist oder geschehen wird. Die Bühne soll
einhegen, dem Wahnsinn Methode geben, von der Tatsache ablenken, dass das
Theater der Absurdität und das Theater der Grausamkeit ein und dasselbe sind.
Mutation ist die einzige Wahrheit und der Technomaterialist als moderner Mensch
die einzige Lösung. Das Lachen zeigt sich wie so vieles andere auch als eine Bösartigkeit
jenseits der Moral. Es ist die Stimme des Abgrunds und in der eigenen
Verneinung Flucht vor dem Abgrund. Doch der wird uns der eigene Abgrund immer
einholen. Wer kann sich dazu durchringen ihm ins Gesicht zu sehen und der
Dunkelheit die feige Selbstgewissheit aus dem Leib zu starren. Erst derjenige
wird sich erhoben und lachend durch
die Welt bewegen. Wir am Leuchtturm des 21. Jahrhunderts wissen, dass der
Mythos den meisten Menschen lieber ist als die Leere der Möglichkeiten und das
Leere unausweichlich selbst zum Mythos wird. Wir wissen nun, dass der Mythos
sich überwirft im Lachen. Wir sind nur nicht bereit es uns einzugestehen. Sollte
es demnach im vollständigen Mythengefüge zwischen den Göttern der Barmherzigkeit
und der Blitze nicht auch einen Platz für den Gott der Spötter geben? Wie kann
es eine Revolution ohne Clowns geben? Vorsicht ist geboten, denn sie sind
nachtragend. Eine erfolgreiche Revolution setzt voraus, dass wir die Clowns
ebenso austricksen, wie wir sie unsere Gegner vorführen lassen. Ecce Homo. Sonst bekommen wir nie das,
was wir (wirklich) verdienen.
Der Abgrund hat Humor
Der
Clown wurde als Narr geboren. Der Begriff Clown leitet sich aus dem Englischen ab und
bedeutet so viel wie Bauerntölpel.
Die Bezeichnung wird etwa seit der Renaissance verwendet. Zurück geht die Figur
aber auf die Antike. Sie ist definiert durch eine visuell tollpatschige Form
des körperlichen Humors, der erst in der Ära des Films (etwa, um die Filme von
Charlie Chaplin zu beschreiben) einen bezeichnenden Namen erhielt: Slapstick. Hier ist noch die reine
Narrengestalt, ein Relikt des Mittelalters zu sehen – eingekerkert im Käfig
seiner Bühne unter den wachsamen Augen des despotischen Staates. Es ist schwer
festzumachen, wann genau sich dieses Verständnis änderte. Jedenfalls halfen dabei
wohl auch reale Vorfälle, die durch den Aufstieg des massenmedialen Komplexes
selbst eine unbeabsichtigte, urbane Mythologisierung erfahren durften. Reale
Serienmörder wie John Wayne Gacy, die als Clowns arbeiteten und Morde
begingen, standen für den Archetypus eines neu alten Monsters Modell, das,
beabsichtigt oder nicht, dem kosmischen Nihilismus des 20. Jahrhunderts ein
Gesicht verlieh. Wissenschaft und Kapitalismus rissen die Schleier der alten
Welt herunter, nur um vor einem Zwinkersmiley zu stehen. In Stephen Kings Es
ist Pennywise der Clown mit seinen roten Ballons die Verkörperung des
systemischen Bösen, ein metaphorischer Ursprung von Korruption und Hass, die
selbst das Gesicht eines Widerspruchs, eines monströsen Spotts annimmt. Das
Universum, so vermittelte uns die Erkenntnis, empirisch belegt und historisch
manifest, war ein Theater der absurden Grausamkeiten. Gott konnte nur noch
wahnsinnig sein, weswegen Nietzsche so viel an Dionysos findet. In Watchmen
von Alan Moore und Dave Gibbons steht der Comedian für menschliche Abgründe,
aber auch für den Staat, der diese Abgründe zu nutzen weiß, ohne es jemals
zugeben zu wollen. Der mit Blut befleckte Smiley-Button veränderte auch die
Welt der Comics. Dem Despoten missfällt das, aber es gelingt ihm immer wieder
mitzuziehen und sich anzupassen.
Trägt
der Teufel des 21. Jahrhunderts also das Gesicht eines verzerrten Clowns? Nein, denn der Teufel der
monotheistischen Mythengefüge ebenso wie der Clown im Zirkus sind Narren in
Käfighaltung. Es reicht nicht, aus einem Clown ein Monster zu machen. Das wäre
lediglich eine Verschiebung der Signifikanten und bedeutungslos. Der Despot hat
ihnen schließlich per Dekret und
Vorschrift des Himmels befohlen, keine Relevanz in der Gesellschaft zu haben.
Somit wird der Teufel, der Narr im Käfig, in einem System, das auf Schuld und
Sühne vor dem Despoten basiert, paradoxer Weise zu einem Modus Operandi, der Verantwortung externalisiert, ausschließt und
leugnet, während er sie an anderer Stelle in Form von blindem Gehorsam und
Pflichtgefühl einfordert. Der Killerclown
andererseits weiß um die Tatsache, dass es keinen Käfig gibt, aus dem er sich
nicht herauswinden kann. Er ist mehr als ein Narr und lebt die Parodie des
Despoten. Der Teufel ist unsere Selbstlüge, die den Trickster unbeobachtet
wirken lässt, solange dieser sich unsichtbar im Wasser der etablierten
Signifikanten zu bewegen weiß, bis es zu spät zum reagieren ist. Was wir nicht sehen, sagen wir uns,
geschieht nicht. Was einen Namen hat, dem sprechen wir ein Eigenleben ab. Es
sind Deleuze und Guattari, die mit diesen unsrigen Unsinnigkeiten aufzuräumen
gedenken. Doch ist es anstrengend ihnen zuzuhören. Lieber lachen wir über die
geschminkten Tölpel, die im Zirkus über die eigenen Füße stolpern, neu
aufgelegt im Bathos der Marvel-Filme.
Währenddessen segelt Loki, geschminkt und ungestört, an Bord seines Totenschiffs,
das nicht länger aus Fingernägeln (welch unendlich naive Vorstellung die
Wikinger doch von ihrem Weltenbrand hatten), sondern aus Konzentrationslagern
und Atombomben gebaut ist. „In die nukleare Vernichtung!“, ruft der Killerclown
vom Deck der Naglfar. Der Staat kann das
nicht ertragen. „Aber bitte nur bürokratisch administriert, mit Stempel,
drei Unterschriften und (pseudo-)wissenschaftlich objektifiziert“, stellt der
Despot richtig, sich den Angstschweiß von der Stirn wischend, den Finger am
roten Knopf. Wir hatten keine Wahl, Herr General. Doch, habt ihr, grinst
der Killerclown. Wir sind das Spiegelbild, das zu seiner Belustigung die
selbstzerstörerischen Handbewegungen ausführt. Ecce Homo. Der Staat will lieber, dass alles endet, damit wir nicht
erkennen, was wir uns selbst angetan haben. Auch hier versteht der Despot seine
eigene Natur nicht. Der größte Witz ist wohl, dass die Apokalypse dann doch nie
wirklich ein Untergang ist, nur ein Weltenbrand, ein Lauffeuer, ein Witz auf
Kosten des Ausführenden. War nicht Nietzsche der größte Komödiant der
Aufklärung, weil er als einer der ersten, aus dem Narren wieder den Trickster machte?
Der Clown als Narr im Käfig flieht vor der Welt in die Dunkelheit der einfachen
Vulgarität von Fäkalwitzchen und Stolperfallen. Der Killerclown geht weiter als
der Staat, überschreitet Grenzen und zeigt auf die totale Vernichtung, nach der
sich der Despot so offensichtlich sehnt. Wir müssen den Killerclown in ein
artgerechtes Gehege sperren. Ein
Trickster mit Auslauf kommt nicht so schnell auf dumme Ideen. Doch stehen
wir hier nicht vor einem Dilemma? Wie können wir den Trickster im Käfig halten,
ohne einen Narren aus ihm zu machen? In der Kunst sollten wir ihn wüten lassen,
nicht jedoch in der Gesellschaft. Das bringt uns zum Killerclown der Moderne…
Achtsamer Weltenbrand
Die
Genese der Figur des Jokers findet
als Narr Einlass in die Popkultur. 1940 fand der Joker in Batman #1 sein
Debüt. Clown und Fledermaus bewerfen sich mit Requisiten, die nur auf einer
Bühne hausen können. Brav, bürgerlich. Wäre es dabeigeblieben, wäre der Joker ein beliebiger weiterer
Meisterkrimineller mit Slapstick-Gimmicks
geblieben. Wie kann es grausam sein, wenn
es absurd ist? Zwischen 1940 und 1960 blieb der Joker Narr,
harmloser Irrer, Requisite des Staates, der in der Rolle von Batman dem
Irren sein Benehmen einprügeln konnte. Ein Echo der verwaisten Bühne findet
sich allerdings noch im Batman-Film von Tim Burton (1989) und Jack Nicholson
als Gangsterclown. Hier mischt sich der kindliche Humor aber bereits mit empirischer
Boshaftigkeit. Batman hat die Tür nur einen Spalt zu weit offengelassen.
Was da mit der Pinguinschar für ein Dreck
hereingeschleust wird! Dies ist aber noch eine Welt, in der Superschurken
entstehen, indem sie in den Chemikalienkessel fallen und in der man sich zu
Tode lachen darf, solange das Grinsen sich in die Künstlichkeit verzieht. Es handelt
sich in vielerlei Hinsicht ein Übergangswerk für den Joker, für Batman und den
Comicfilm generell. Joker und Batman sind durch den Mord an den Waynes
Schicksalsverbundene, denn sie dienen demselben Herrn. Die Rache des einen
erschafft den anderen. Slapstick. Alles
ist so bürgerlich und küchenpsychologisch gehalten, dass kein Zweifel bestehen
kann, dass sich hier eine Traumwelt der Erwachsenen an der Traumwelt der Kinder
rächt. Die Bühne wird nicht verlassen. Alles
ist in Ordnung, kehren Sie doch bitte auf ihre Plätze zurück!
Der
von Alan Moore und Brian Bolland geschaffene und ein Jahr (1988) zuvor
erschienene Batman: The Killing Joke zeichnet
ein anderes Bild und tritt die Tür weit auf, die von der Kulturindustrie nur
halbherzig abgeschlossen worden war. Hier tritt der Joker erstmals in Rückblenden (charakterlich) als Arthur Fleck auf.
Innerhalb eines schlechten Tages erlebt er den Tod seiner schwangeren Frau, versagt
als Stand-Up Comedian und wird von der Mafia betrogen. Erst dann fällt er in
die ominösen, charakterverbiegenden Chemikalien, die ihm sein ikonisches
Äußeres verleiht. Der Joker will sich
selbst zum Possenreißer machen, indem er dem Commissioner des Staates Jim
Gordon einen ähnlich schlimmen Tag bereitet. Es wäre schön, wenn es nicht
wahr wäre. Es ist gerade lustig, weil es wahr ist. Die Schminke ist nicht
mehr der Abgrund und der Abgrund starrt zurück. Irgendwo da draußen in diesem
Jahrzehnt verkündet eine Topfpflanze namens Thatcher, dass es keine Gesellschaft
gibt. Das wird noch ein Brüller, das
verspreche ich euch! Batman, der Despot, setzt dem Spaß ein Ende, aber
nicht, ohne dem Possenreißer das letzte Wort zu überlassen. Schließlich sitzen
Loki und Odin in derselben Anstalt ein. Doch wo Odin Mimir ein Auge abgetreten
hat, um Weisheit zu erlangen, warf doch Loki gleich beide in den Brunnen! So
ist es auch verständlich, wenn der Comic mit einem Witz endet, über den sowohl Batman als auch der Joker lachen können:
„Da
sind diese beiden Typen im Irrenhaus … und eines Tages wollen sie dort nicht mehr länger
bleiben. Sie beschliessen also zu fliehen! Sie steigen aufs Dach und dort, nur einen kleinen Sprung
entfernt, sehen sie die Dächer der Stadt, die im Mondlicht vor ihnen liegen … die sie in
die Freiheit führen. Und der erste Typ springt
auf’s nächste Dach, kein Problem.
Aber sein Freund, der traut sich nicht. Er … er hat Angst zu fallen. Aber der andere hat eine Idee. Er sagt: ‚Hey! Ich
hab `ne Taschenlampe! Ich leichte
über den Abgrund und du kannst auf
dem Strahl rüberlaufen!‘ A-Aber der
andere schüttelt nur den Kopf. Er
sa-sagt … Er sagt: ‚J-ja glaubst du, ich bin irre!? Du würdest sie ausmachen, wenn ich halb drüben bin!‘“ (Moore/Bolland 2009, S.49)
Balder
stirbt, wenn das Licht ausgeht, aber war ein blutender Gott jemals lebendig?
Noch bleibt der Schaden begrenzt. Wer weiß schon, ob die Falklandinseln nicht
doch etwas wert sind? Nicht einmal Rosen
bringen sie ihm, nur dieses schäbige Gelächter! Doch haben wir Angst davor,
dass Balder fallen wird, denn er ist das schönste aller Dinge. Nur Batman darf gewinnen, den Imperativ hat
er uns schließlich ins Blut geschrieben. Wäre doch schlimm, wenn all die Arbeit
umsonst gewesen wäre, oder? So erzählen wir die Geschichte, dass Balder eine
Brücke ist. Der Trickster behält recht, auch wenn er selbst gerade gescheitert
ist. Joker kann fallen, ob die Brücke
nun existiert oder nicht. Es ist ihm egal, denn er weiß, was da draußen lauert.
Batman glaubt, nur sanft hinabgleiten zu können. Mit dieser Erkenntnis gelangt
der Joker in das 21. Jahrhundert und die Intensität nimmt zu.
In
The Dark Knight (2008) macht Heath
Ledger aus dem Charakter ein Archetyp des Chaos, dem die Autorität (Polizei,
Justiz, klassische Kriminelle, Batman) hinterherhechelt, um einen verlorenen
Status Quo wiederherzustellen. Doch die Apokalypse, die Entschleierung ist
bereits im vollen Gange. Der Joker
kennt nur Eskalation. Dementsprechend gelingt dem Despoten der Sieg nur in der
Lüge, die in The Dark Knight Rises
direkt wieder auseinanderfällt. Auch gelingt es dem maskierten Rächer nicht, seinen
Kontrahenten in den Tod stürzen zu lassen, denn der Despot hat Angst vorm
Fallen. Er will den Clown wegsperren, nicht umbringen, denn der Despot muss
recht behalten. Dem Killerclown ist es einerlei. Er kann fallen und will dabei nur
lachen. Der Killerclown existiert, um ein Fundament der Ordnung zu erniedrigen,
das schon keines mehr ist. Christopher Nolans Batman-Reihe wird oftmals konservativ interpretiert, aber es ist
ein ähnlicher Konservativismus wie der in Vampirgeschichten des Gothic-Horrors.
Die alten Spukhäuser und Steingemäuer sind nun die Wolkenkratzer und Highways
der Banken und SUVs. Der Kapitalismus war ein Witz auf Kosten des Adels. Nun
gerät er selbst in die Schusslinie, die er sich errichtet hat. Wie der Vampir den
sterbenden Adel persiflierte, hat der Killerclown den Verfall des Thatcherismus
an sich gerissen. So überrascht es nicht, dass The Dark Knight im Jahr 2008, dem Jahr der Finanzkrise so
erfolgreich war. Ob Heath Ledger den Zustand der Welt in seine Rolle einfließen
ließ? Doch noch hat der Clown nicht gewonnen. Er hängt am Faden der Lüge, wird
wieder heraufgezogen. Der Hyperrealismus setzt ein. In den darauffolgenden
Marvel- und DC-Filmen ist der Clown wieder Bühne. Alles ist ironisch und
sinnentleert. Was sich währenddessen in der realen Welt abspielt, wird
beunruhigender.
Seit
den 1980ern, zuletzt 2016, gab es immer wieder Berichte über das Erscheinen von
Personen, die sich als verstörende Clowns verkleideten, um in der Nacht auf
offener Straße Leute zu erschrecken. Ob diese Beobachtungen letztendlich der
Wahrheit entsprechen oder nicht spielt keine Rolle. Sie geistern seitdem als Creepy Pasta durch die Medien, werden
von der Polizei (der Ordnung) aufgegriffen. Man veranstaltet Clownsjagden, um
die Kontrolle zurückzugewinnen. Paranoia greift um sich. 2016 schafften es
EngländerInnen und AmerikanerInnen, sich bei der Suche nach Jägern von Horrorclowns
die Horrorclowns in die Regierung zu wählen. Eigentlich müsste man Thatcher an
einen Stuhl binden und zwingen hinzusehen. Alle Welt sucht nach Falklandinseln.
Aber der Despot braucht nicht zu sehen, nur zu erklären. Dieses Vorgehen hat
ihm immerhin schon seit Anbeginn der Zeit dabei geholfen, sich selbst
umzubringen. Was ihm die Augen zeigen ist das, was er sich im Kopf bereits
zurechtgelegt hat. Auf in die Selbstvernichtung, ähm, Kekistan meine ich. Menschen
haben unter Organismen ein seltsames Alleinstellungsmerkmal: Sie tendieren
dazu, die Fiktion in die Wirklichkeit zu rufen, wenn es zu passen scheint.
Joker (2019) von Todd Philipps erzählt die Geschichte von Arthur
Fleck, einem gebeutelten jungen Mann, der noch bei seiner Mutter wohnt und
davon träumt Stand-Up Comedian zu werden. Er ist psychisch krank, weil er
unkontrolliert lachen muss, und arm, weil die soziale Gerechtigkeit nur in der
Glotze vor sich hin brabbelt. Ein anderes Fernsehgesicht, Murray Franklin
(gespielt von Robert De Niro) hingegen ist sein großes Vorbild, das sich für
diese Verantwortung revanchiert, indem es den glücklosen Comedian vor aller
Welt zum Gespött werden lässt. Seine Mutter hat ihn belogen. Er verliert seine
Arbeit als Clown. Die Beziehung, die er glaubte zu haben, stellt sich als
Wahnvorstellung heraus. Es läuft nicht gut. Aber
was ist mit den Falklandinseln? Flecks Bitterkeit fängt in der
Öffentlichkeit an laut loszulachen, weil es sich in sein Blut eingeschrieben
hat, was ihm noch stärkere Probleme einbringt. Noch ist der Witz nicht zu Ende erzählt. Als Fleck in der U-Bahn
den Zorn von drei betrunkenen Bankern auf sich zieht, erschießt Fleck die respektablen Angestellten von Thomas
Wayne und findet Gefallen daran. Das Gleiten in den Abgrund vollzieht sich
episodisch. Die Gründe sind ebenso banal wie pathologisch, ökonomisch ebenso
wie persönlich. Daher ist es falsch, dem Film vorzuwerfen, er würde alles auf
das Persönliche reduzieren. Das Gesellschaftliche brandmarkt das Persönliche.
Der Despot schreibt im Blut, das er für selbstverständlich hält. Der Trickster
verspritzt all das Blut, um sich die Lippen blutig malen zu können. Das, was darin
geschrieben steht, interessiert ihn nicht. Deswegen sitzt er auf dem Sofa von
Robert De Niro und behauptet, er wäre unpolitisch.
Sein Leiden ist ihm ins Blut übergegangen. Der Despot hat sich selbst ein Bein
gestellt. Das Theater der Grausamkeit ist dasselbe wie das Theater der
Absurdität. Die Killerclowns überfluten unsere Straßen! Will nicht jemand etwas
unternehmen?
Thomas
Wayne (ist es ein Zufall, dass der Schauspieler Ronald Reagan so ähnlichsieht?)
lebt in einer Welt, die sich an der Oberfläche abspielt, weil er das Pathos der
gerechten Worte mit der vermeintlichen Realität verwechselt. Ganz im Sinne des
neoliberalen Mythos kann in Balders Garten, diesem Land der Lieder und der
Schwüre, nur der Realist, das vernunftbegabte Individuum, die aus dem Ruder
geratene Gesellschaft wieder zusammenbringen. Alle sollen sie versprechen, die Political Correctness zu achten! Dann
wird schon niemand zu Schaden kommen. Außer die Zypresse, die ist schlecht fürs
Geschäft. Der kann man eh nichts beibringen! Thomas Wayne ist der Balder
dieses Zeitalters, der durch Jokers
Pfeil auf dem Bogen der Blinden zugrunde gehen wird.
So
begegnen sich Joker und Thomas Wayne wie zwei gegenläufige Diagonalen, die sich
an einem Punkt durchaus im fatalistischen Sinne überkreuzen werden. Todd
Philipps spricht hier eine Warnung aus, die sich im großen Ganzen bereits
bewahrheitet hat. All die Zitate aus Taxidriver
(1976) sind signifikant. Vor allem ist wichtig, dass Robert De Niro, der einst
Travis Bickle spielte, nun einer der Hauptantagonisten ist. Man kann dem
Regisseur mangelnde Kreativität vorwerfen, aber dann hätte man ihm De Niro
vielleicht als Cameo zur Seite gestellt. Warum der Wechsel vom Sympathieträger
der Entfremdung zum Antagonisten des liberalen Establishments? Der Film
verweist hier auf der Metaebene sehr deutlich auf die Diskrepanz zwischen
Repräsentation und Wirklichkeit. Die alt Right ist ein Ergebnis des
inhärenten Widerspruchs von der die Menschlichkeit untergrabenden
Neoliberalisierung und der die Menschlichkeit
(auf der Repräsentationsebene) einfordernden Political Correctness, der Aufkündigung des Generationsvertrages
bei gleichzeitiger Betonung individueller Verantwortung, die Beschwörung der
universellen Wertegemeinschaft unterwandert von schleichender Gentrifizierung. Der
Hollywoodschauspieler kann das Leiden einer Epoche auf die Leinwand bringen,
ohne jemals davon berührt worden zu sein. Von
allen Seiten wird nur noch über Signifikanten und nicht mehr Signifikate
geredet wird. Was wir derzeit allerorts erleben ist ein Musterschauspiel der
Fehler, die Deleuze im dogmatischen Gedankenbild der Repräsentation erkannt
hat. Der Film stellt dies auf meisterhafte Weise her. Joker ist auch ein Hilfeschrei. Es ist bezeichnend, dass sich
Arthur Fleck und Thomas Wayne nur aus der Distanz begegnen. Es ist symptomatisch,
dass sich Thomas Wayne in einem neoklassischen Prachtbau Modern Times von Charlie Chaplin, den Narren auf der Bühne, ansehen
kann, ohne zu verstehen, dass er auch mit seinen vielleicht progressiven Zielen
in einem Saal der Illusionen sitzt. Das philanthropische Selbstbild der social corporate responsibility hält in
Kulturtempeln Schwarz-Weiß-Mahnwachen für die Armut ab. Die Zukunft wurde
abgesetzt. Der Despot will, dass sich alles nach seinem Willen wiederholt. Nur
zieht er damit den Zorn des Tricksters auf sich, den er für einen unfähigen
Narren hält, zumindest solange bis ihm von der Geschichte ein Messer in den
Rücken gerammt wird. Ecce Homo.
Des Kaisers alte Kleider
Dieses
Bewusstsein für die Tragweite des eigentlichen Problems zeigt sich auch im
Umgang des Films mit psychischen Störungen. Zum ersten Mal seit Mark Fisher
wird hier politisch über psychische Gesundheit gesprochen. Dabei spielt es
keine Rolle, welche Diagnose gestellt worden ist. In der Kritik steht der
psychotherapeutische Komplex, der von weltanschaulichen Menschenbildern und
neuroliberaler Ideologie durchdrungen ist. Psychologie ist keine objektive
Wissenschaft, sondern eine hermeneutische. Psychologen sehen das natürlich
anders. Aber Subjekte untersuchen hier nicht eine unabhängig von uns
existierende Natur. Subjekte untersuchen andere Subjekte – Subjekte, die von
der Gesellschaftsmaschine auf
historisch spezifische Weise zu Objekten gemacht worden sind. Der Hype um die
sogenannte Achtsamkeit, die einer Form des Junkfood-Buddhismus entspringt, die
im Westen seit D. T. Suzuki verbreitet ist, steht hier für eine besonders
perfide Aufforderung zur Selbsthilfe, wie sie das dominierende Prinzip der
Psychotherapie im 21. Jahrhundert ist. Kluge Köpfe werden hier bereits die
Parallele zur neoliberalen Individualisierung des Glücks erkennen. Auch damit
hat der Film ein Hühnchen zu rupfen. Hilfe bedeutet in diesem Kontext nämlich (und
diese Feststellung ist fundamental) Hilfe zur Anpassung, weil die Veränderung
der Welt als solche nicht in Frage kommt (kapitalistischer
Realismus). Da diese Anpassung aufgrund von Neurodiversität nicht allen
Individuen möglich ist (Manche können Stress besser ertragen als andere), spürt
der Andere auf den Schultern stets den Druck, normal sein zu müssen, ohne es zu
können. Er ist der humpelnde Marathonläufer, der zur Teilnahme an
Bestleistungen gezwungen wird. Die neoliberale Konnotation des Normalseins sieht
in einer Weigerung nur Ausflüchte. Der Sport in diesem Kontext heißt
Glücklichsein. So müssen psychische Bedenken stets als objektiver Tatbestand
vorliegen, um bei der Beurteilung einer Arbeit als zumutbar berücksichtigt zu
werden – obwohl (und das ist Fakt), viele psychische Diagnosen sehr schwammig
definiert sind und letzten Endes immer an die Funktionsfähigkeit im neoliberalen Alltag, nicht das eigene
Wohlbefinden, gekoppelt sind. Wer es nicht schafft, muss krank oder unfähig sein
oder beides. In den Umständen (von Stress, Leistungsdruck, ökonomischer
Indifferenz etc.) erkennt der psychotherapeutische Komplex keine Faktoren, die
krank machen. So ist es falsch, wenn auch häufig zitiert, bspw. eine Depression
mit einem gebrochenen Knochen zu vergleichen. Depression ist die Cholera, die
man sich durch dreckiges Wasser einfängt, das eine Gesellschaft zu trinken ausgibt,
wenn keine richtige Kanalisation existiert. McMindfulness reinigt keine
Trinkwasserquelle, hilft aber die eigentlichen Ursachen zu ignorieren. Natürlich
ist es falsch, alle Verantwortung an die Gesellschaft abzugeben, sich zum
eigentlichen Opfer zu erklären. Das können die Nazitrolle gut. Individuum und
Gesellschaft sind verwoben, ohne dass wir die Fäden wirklich auseinanderdividieren
könnten. Doch genau diese Verabsolutierung versucht der neoliberale
Individualismus auf der anderen Seite und schießt sich damit selbst ins Knie.
Was
der despotische Staat Arthur Fleck ins Blut eingeschrieben hat, wird ihm und
anderen zum Verhängnis. Das Versprechen der Thomas Waynes dieser Welt, dass der
Erfolg eines Lebens sich nur an einer erfolgsorientierten Karriere messen
lässt, und der Zwang der Mutter, dabei als „Happy“ immer nur ein Lächeln
aufsetzen zu dürfen, führen gemeinsam in eine schizophrene Vorhölle, deren
Existenz der neoliberale Mythos vom allmächtigen Individuum dann auch noch
leugnet. Das Genie von Todd Philipps ist es, die Krankheit nicht als
biologisches Faktum zu kommunizieren, aber gleichzeitig zu zeigen, dass die
Charaktere daran glauben, biologisch nicht
gleich viel wert zu sein. Gegen Ende des Films hat Joker den Biologismus, den man ihm vorgerechnet hat,
internalisiert. Individuum und Gesellschaft sind eine Einheit im (vermeintlich)
unpolitischen Attentat. (Homo Oeconomicus
+ McMindfulness): Misserfolg = Killerclown. Wie Loki Verdamnis und
Spiegelbild der Asen ist, wird Joker Verdammnis und Spiegelbild des
postfordistischen Tycoons, dem sich der neoliberale Staat unterworfen hat.
Es
geht nicht darum, den Grundsatz der Psychologie im 21. Jahrhundert in Frage zu
stellen: Alle psychischen Vorgänge sind gleichzeitig biologisch. Diese Kritik ist
nicht mit einem aufklärungsfeindlichen Romantizismus zu verwechseln. Statt aber
Veränderungen im Hormonhaushalt als simultanen Ausdruck unausgeglichener
Emotionen zu verstehen, also aus Biologie und Psychologie zwei Seiten derselben
Münze zu machen, wird daraus in der neoliberalen Psychiatrie ein nicht
empirisch gestütztes Ursache-Wirkungsgeflecht abgeleitet: Der emotionale
Ausnahmezustand entsteht, weil bspw. ein
Mangel von Serotonin vorliegt. Diese Schlussfolgerung ist logisch natürlich
nicht falsch, wird im Sinne einer Tautologie aber zu einem redundanten
Zirkelschluss, weil wir das Biologische und das Psychologische ja bereits
gleichgesetzt haben. Etwas da draußen in
der Umwelt kann einem genauso gut (metaphorisch betrachtet) das Serotonin
aussaugen. Serotonin ist der Schuldeneintreiber des Spätkapitalismus: Haben
Sie schon diese Pillen probiert oder dieses Buch gelesen? Sport getrieben,
richtig gegessen? Was ist mit Meditation? Wollen sie nicht doch zum Sparpreis
von 2000€ im Jahr ins Kloster? Nein? Also
dann sind sie natürlich selbst schuld… es besteht kein Anspruch auf
Schadensersatz (oder Sozialleistungen). Die Biologie wird in den Zustand
einer materialistischen Transzendenz erhoben, die, wie der Ödipuskomplex der
Psychiatrie des 20. Jahrhunderts, an mancher Stelle funktioniert (gewisse
Anomalien in der Gewebestruktur des Gehirns können gewisse Störungen auslösen
oder verstärken), an anderen Stellen aber wirkungslos bleibt oder sogar Schaden
anrichtet, weil sie sich an der Verschleierung der eigentlichen (sozialen,
politischen, ökonomischen) Ursachen mitschuldig macht. In die Lücke springt die
Ideologie der Selbstoptimierung, die ein homöopathisches Spülwasser teuer
vermarktet und all jene abfängt, die sich nicht trauen krank zu sein.
Achtsamkeit,
Antidepressiva, Yoga, Selbsthilfewundertüten. Die Welt wird zum chemisch und
basisdemokratisch kontrollierten Irrenhaus. Verrückt sind die, die noch können,
weiß Konstantin Nowotny in seinem wunderbaren Onlineartikel für den Freitag. Im Neoliberalismus
gilt die Gesellschaftsmaschine, der Sozius, als alternativlos, weswegen (vermeintlich) nur Symptome
behandelt werden können. So dürfte es kein Zufall sein, dass das Lachen
sich bei Arthur Fleck einerseits dem Wunsch zuordnet, eine Karriere als Comedian
zu starten bzw. Clown zu bleiben, und sich andererseits als psychopathologische
Störung manifestiert, die ihm im Alltag allerlei Probleme bringt. Auch wenn wir
all diese Konzepte als sozial konstruiert akzeptieren, hat die Natur als
Mengengefüge das letzte Wort. Wir werden eben nicht im Sinne der liberalen
Utopie als unbeschriebenes Blatt, als tabula
rasa geboren und dieser Verantwortung will sich der Despot nicht stellen.
Er will lediglich den Status Quo, seinen Traum vom Gesellschaftsvertrag
erhalten. Joker verkörpert hier die
tiefe Spaltung zwischen dem durch Achtsamkeit optimiertem Ideal des
funktionierenden Subjekts und den multiplen, dysfunktionalen, miteinander
ringenden Kräfte eines realen Bewusstseins, das versucht sich beieinander zu
halten und scheitert, was der Zuschauer als unkontrolliertes, bellendes Lachen
erfährt.. Doch Joker wäre lediglich
ein passabler Film, würde er hier verweilen. Im deleuzischen Sinne weiß Todd
Philipps, dass die durch den Despoten vorgefertigten Einschnitt auch die Saat von
etwas unbeabsichtigt Neuem enthalten können. So stehen wir vor der eigentlichen
Apokalypse, der Entschleierung: Ihr
bekommt genau das, was ihr verdient…
Superhelden
wie Batman sind demgegenüber die
Idealgestalt des neoliberalen, postdemokratischen und politisch korrekten
Subjekts, mit dem der Despot gerne identifiziert werden möchte. Bunt, auf der
Höhe der Zeit, produktiv und loyal. Was macht der Film von Todd Philipps
daraus? Batman existiert nicht. Joker
ist ein Superheldenfilm ohne Superhelden und verhält sich zu seinem Genre wie
sich die Serie Holocaust zum Heimatfilm der 50er Jahre verhielt. Er durchbricht
Balders Traumbild der Makellosigkeit, um den verrotteten Leichnam des blutenden
Gottes auf die Bühne zu zerren. Ecce Homo.
Das Gelächter des Wahnsinns ist das letzte Codesegment, das Gotham noch beisammenhält. Was die
Clowns dann betreiben ist nicht mehr Mord, sondern lediglich Leichenschändung. In
Joker darf der Despot zusehen, wie
seine Eltern zum x-ten Mal umgebracht werden. Der Film zeigt uns, wie sehr uns
der Traum bereits zerfressen hat und wie sehr er uns noch zerfressen kann. Joker ist die Warnung vor der Hybris der
(selbsternannten) Götter. Todd Philipps hilft uns, die realen Killerclowns zu
verstehen, ohne sie zu glorifizieren. Statt auszubrechen, verbleibt Arthur
Fleck in der Logik des Systems, spitzt sie zu und bringt sie dazu, über seinem
Kopf zusammenzustürzen. Joker ist die
kreative Zerstörung des neoliberalen Pantheons, die nicht leugnet in diesem
Pantheon der internationalen Marktkonformität des Superheldenfilms zu sitzen.
Todd Philipps hat damit einen Nerv der Zeit getroffen, ob er dies in diesem
Umfang beabsichtigte oder nicht.
Im
Film wird der Despot in seiner Machtlosigkeit bloßgestellt, über die er stets
eine Lüge geschoben hat. Man hat die Kulturindustrie ein faules Ei
untergejubelt, nicht lediglich eine Möglichkeit, die Parameter des Marktes neu
zu justieren. Joker ist in diesem Sinne keine Entkräftung des
Superhelden auf der Ebene des Genres wie z. B. Watchmen, sondern ein
Angriff auf die Rolle der Superhelden als Produkt und ideologische Affirmation
der globalisierten, neoliberalen Gesellschaft. Die liberale Presse hat den
Geruch ignoriert und ein Spiegelei daraus gemacht. Markt und affirmative
Marktopposition zerfleischen sich gegenseitig, weil sie den Film nicht
verstanden haben. Der Selbstmordpakt zwischen dem Despoten und dem Trickster
wird gleichsam offen gezeigt und nicht unter Sentimentalitäten versteckt, was
für einen Hollywoodfilm beeindruckend ist. Joker ist für Todd Philipps kein
Sympathieträger, kein Straßenmacho wie Travis Bickle bei Martin Scorsese, und
sollte er es auch nicht sein. Arthur Fleck ist kein leeres Bild der
Repräsentation, sondern Realität, die mit Gewalt in die Fiktion, die schöne
Traumwelt einbricht. Ungeschönt extrapoliert. Ein Witz auf Studiokosten.
Der Film kommt einer visuellen Desintegration von Ideen gleich. Joker
(2019) ist im Gegensatz zu seinen Vorgängern von Tim Burton und Christopher
Nolan und auch in Abgrenzung zu ikonographischen Vorbildern wie Taxi Driver, ein zutiefst schizophrener
Film und das macht ihn so wertvoll. Was machen wir nun daraus? Werden wir den
Kreislauf vervollständigen, auf das neue Gleiche hoffen, was auch immer darauffolgt?
Wird es immer einen Despoten und einen Trickster geben? Heben wir diese Welt
aus den Angeln, bevor sie (wieder) untergehen wird? Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man… und der Film
fragt uns auf unbequeme Weise: Wer von
euch kann zugleich lachen und erhoben sein?
Literatur
Baudrillard,
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Ann Arbor: University of Michigan Press.
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Purser, R. (2019). McMindfulness: How Mindfulness
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Video-Essays
(Youtube) Coffin, Peter (01.11.2019). Joker, The
Culture War and Pure Ideology | Very Important Docs26
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