Holocaust (1978) und die Politisierung der Kunst


__
______________________________________________________________________________

Der Januar neigt sich mit dem internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus dem Ende zu. 2019 begann mit der Neuausstrahlung einer vierteiligen, amerikanischen TV-Serie von Marvin J. Chomsky – begleitet von einer Dokumentation über die Erstausstrahlung. Historisch betrachtet gab Holocaust (1978) einer Debatte neuen Auftrieb, die im Land der Täter lange totgeschwiegen worden war. Warum?

1935 schloss Walter Benjamin sein berühmtes Essay Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit mit einem brennenden Plädoyer für den Film als damalig revolutionäre Kunstform. Er zog das Fazit: Der Faschismus ästhetisiert die Politik. Darauf müsse der Kommunismus mit einer Politisierung der Kunst antworten. Diese Haltung mag retrospektiv naiv erscheinen. Der Film hat die Macht des Kapitalismus nicht untergraben. Im Gegenteil: Er ist nun einer seiner Haupttriebkräfte.

Diese Gegenüberstellung von Ästhetisierung der Politik und Politisierung der Ästhetik überlebte ihren Schöpfer. Im digitalen Zeitalter ist die ästhetische Wirkung eines Politikauftritts wichtiger geworden als die Folgen einer politischen Haltung. Inhalte sind so marginal geworden, dass sie sich offen widersprechen und trotzdem Stimmen und Wahlgelder eintreiben können. Die Ästhetisierung von Politik beschränkt sich aber nicht mehr auf den Faschismus und eine Politisierung der Kunst ist bisher nicht effektiv gelungen. Unterhaltung ist niemals unpolitisch. Jede Form von Kunst vermittelt als Kommunikationsobjekt Weltanschauungen. Das kann man mit Benjamins Begriffen immer noch gut analysieren.

Was hat das nun mit Chomsky und Holocaust (1978) zu tun?

Als Jahrgang 1992 begegnete mir dieses Phänomen erst im Studium. Die Reaktionen auf die Erstausstrahlung waren aufgewühlt. Es gab Drohungen von Rechtsextremen, Diskussionen in Familien und allerlei Emotionen. Dem ersten Eindruck nach handelte es sich um eine typische TV-Produktion, der man das Budget in den Kulissen und einem (für die Ernsthaftigkeit des Themas) zu schmalzigem Drehbuch ansehen konnte. Dafür wurde sie u. a. auch von Opfern und Intellektuellen kritisiert. Andererseits könnte diese emotionale Form auch den Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens liefern, denn gewirkt hat die Serie im Land der Täter. Der historische Kontext einer Verdrängungsgesellschaft ist hier wichtig.

Es ist nicht Kriegstreiberei, den Krieg in Blutorgien über die Leinwand zu pusten, sondern ihm alles Blut zu nehmen und auch noch die Toten und Geschlagenen Arien singen zu lassen. Man muss das Schlechte schön oder zumindest unschuldig werden lassen. Man munkelt, dass Hitler heimlich Disney-Cartoons liebte. Schon während der Kriegszeit erlebte die Unschuld mit Die Feuerzangenbowle (1944) eine Renaissance. Die Schuld floh dann nach 1945 erst einmal in die dünne Bergluft der Heimatfilme, wo man in Technicolor zu Streichquartetten mit Lausbuben und treulosen Ehefrauen zu kämpfen hatte. Der Bruch im Handeln führt nicht notgedrungen zu einem Bruch im Denken und umgekehrt. Das ist, zugespitzt, Ästhetisierung von Politik. Man überspielt die Wirklichkeit, um einen Zweck schmackhaft zu machen. Der Faschismus (und die Verleugnung der Mitschuld an den Verbrechen) muss aus seinen Märchen heraus angreifen werden, sonst verpufft Kritik in der Verdrängung. Das ist Politisierung von Kunst.

Ich weiß nicht, inwiefern das Produktionsteam der TV-Serie Holocaust (1978) die Politisierung von Kunst im Sinn hatte. Die Stärke der Serie liegt aber gerade darin, dass sie sich die Rosamunde-Pilcher-Idylle an der Oberfläche aneignet und sie dann von innen heraus zerfrisst. Chomsky hat eine Telenovela geschaffen, deren Horror subtil (teilweise gar absurd) daherkommt und deswegen umso brachialer auf ein verdrängendes Bewusstsein wirkt. Hieran scheiterte auch die Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Sie plädierte für den Schock. Doch dieser allzu strikte Bruch mit der Ästhetik scheiterte, weil die Botschaft sich nicht an das Bewusstsein ihres Zielpublikums anpasste. Nur die avantgardistische Elite verstand den Witz. Als Ergebnis hängen nun viele überzeugte Sozialisten in den Galerien von Milliardären, die glaubten den Witz verstanden zu haben. Die Künstler glaubten auch dann noch den Kunstmarkt zu unterwandern, als Provokation zum Mainstream wurde. Die Avantgardisten verkamen wie die gesamte 68er-Bewegung zu einer Parodie ihrer selbst.

Leider leben wir wieder in interessanten Zeiten. Es gibt freilich genug Gründe, auf die Wichtigkeit der Erinnerung zu verweisen. Die gegenwärtige Lage macht aber den Eindruck, man müsse nur alle paar Jahre mit Kränzen oder Staatsappellen wedelnd einen Exorzismus vornehmen, dann würden sich die Teufel von allein zurück in ihr Loch verziehen – wie an Sylvester oder Halloween. Es ist ein nützliches Märchen, wenn man weiter das Vollversagen der neoliberalen Politik in den letzten 40 Jahren leugnen möchte, welche vermutlich wie kein anderer Faktor dazu beigetragen hat, dass heute wieder Rechtspopulisten im Bundestag sitzen. Auch Hitler kam erst mit Suppenschüsseln und dann mit Schlägertruppen.

Es ist eigentlich offensichtlich genug: Lakaien schafft man sich, indem man ihre Mägen und ihre Wut füttert. Wir stehen nicht kurz vor einer erneuten faschistischen Machtübernahme, auch das ist ein Märchen, aber die weltpolitische Lage im Januar 2019 scheint besorgniserregend. Kunst kann einen Beitrag leisten und politisch sein, aber heutzutage ist sie es kaum noch. Vielleicht braucht es neue Augen aus der Perspektive eines alten Erfolgs.

Frei nach Brecht: "Kunst ist nicht ein Spiegel den man der Welt vorhält, sondern ein Hammer mit dem man sie gestaltet!"
________________________________________________________________________________

@ LeO Tiresias

Politik und Kultur
Für Fragen und Anregungen, schreibe mir eine E-Mail unter leotiresias@gmail.com oder besuche mich auf meinen Social-Media-Seiten!

Comments