Deutschland! und Erdbeerjoghurt
________________________________________________________________________________
Das
Problem mit Geschichte ist, dass sie nie existiert hat. Sie ist immer schon
eingepackt, eingetütet und vermarktet. Ihr Inhalt ist ihr aufgedruckt. Ihre
Inhaltsstoffe sind pragmatisch, nach marktwirtschaftlichen Überlegungen und
ethischen Verpflichtungen ausgewählt. Geschichte ist wie Erdbeerjoghurt, der
keine Erdbeeren enthält.
In
vielerlei Hinsicht ähneln die Reaktionen auf das neue Rammsteinvideo Deutschland! den Reaktionen auf den Film
Starship Troopers. Paul Verhoeven
musste für das Wie seiner Filme auch stets
viel Kritik einstecken, wird aber von einigen Kritikern gerade wegen seiner
bissigen, trashigen Satire bis heute geliebt. Ähnlich verhält es sich mit der
Band Rammstein. Lange hat man gelauert, ob die Band sich nicht doch weltanschaulich
am rechten Rand entblößt. Die Kurzschlusskontroverse um das neue Video ist
bezeichnet für den Umgang mit einem Thema, das noch immer von vielen Illusionen
umgeben ist. Vor allem der Teaser des Videos hatte im Vorfeld für Empörung
gesorgt, weil sich die Bandmitglieder in KZ-Häftlingsuniformen haben hängen
lassen. Der Band wurde dann vorgeworfen, die Opfer des Holocaust für
Marketing-Zwecke auszuschlachten. Man darf sich natürlich nichts vormachen: Das
war ein bewusst provozierter Skandal. Dieses Verhalten kann man gut oder
schlecht finden. Es ist jedoch kein Prozess, der mit Rammstein angefangen hat
oder enden wird.
Skandale
verkaufen sich in einer Aufmerksamkeitsökonomie gut. Dieses Prinzip kennt und
nutzt auch die hippe Avantgarde abseits der bösen Kulturindustrie schon lange
(Man denke nur an Jonathan Meese, um noch ein harmloseres Beispiel zu nennen). Auch
bietet das Thema Holocaust Regisseuren und Schauspielern, die sich im System
Hollywood Oskars verdienen wollen, schon lange eine hochgradig
durchstrukturierte Erfolgsachterbahn: Denn wer kümmert sich um die Qualität
oder Relevanz eines Schinkens, wenn er solche Emotionen auszulösen vermag? Niemand
scheint sich daran zu stören. Wenn die Bundeswehr frei nach Ender‘s Game mit Videospiel-Ästhetik und
Familienfreundlichkeit für den Krieg wirbt, ist das auch deutlich zynischer als
ein Video, indem sich die Produzenten sichtlich reflektiert und differenziert,
wenn auch mit künstlerischem Bombast dem Thema angenähert haben. Was man nun
für wie verwerflich halten muss, darüber lässt sich streiten.
Immerhin
nähert sich Rammstein der deutschen Geschichte in ihrer Ambivalenz auf sehr
intelligente Weise, was man von manchem Holocaust-Schinken und mancher
Avantgarde-Aktion nicht behaupten kann. Man kann nicht sagen, dass Rammstein
rechte Verbrechen zynisch ausschlachtet, sondern dass die Band gegenwärtiges,
rechtes Denken sehr gut verstanden hat und dieses Wissen nun nutzt, um
nationalistische Fantasien auf eine Weise zu dekonstruieren, die man im
öffentlichen Diskurs zu oft schmerzlich vermisst.
Reflexhafte Ablehnung trifft auf Provokation
Schon
Karl Mannheim schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts, dass bei der Kollision von
Ideologien nicht Interessen, sondern Welten aufeinanderprallen. Sie sind durch
das Vertrauen in Rationalität nicht zu überwinden, weil jeder die Rationalität
(die wirkliche Welt) bereits auf seiner Seite weiß. Sowohl bei Verhoeven als
auch bei Eric Specter Rembergs Musikvideo zum Rammsteinalbum zeigen sich die
Fehler der nationalistischen Weltanschauung in den Brüchen und
Gegenüberstellungen, welche die Immersion stören sollen. Jede Szenerie wie auch
der Gesangstext selbst ist von Kontrasten durchzogen, die musikalisch wie
ikonografisch stets miteinander, gegeneinander und umeinander ringen bis alles
zusammenbricht und ausartet. Vom Hinterhalt des Arminius springen die Clips zu
teutonischen Rittern und Astronauten, die die Überschneidungen von Ridley
Scotts Prometheus und rechten Verschwörungstheorien satirisch hervorkitzeln. Das
rote Laserlicht erinnert an die neuesten Filme des Star-Wars-Franchise, das
sich für die kommerzielle Popkultur schon immer unreflektiert an faschistischer
Ikonografie bedient hat. Mönche bei einem kannibalistischen Fest wechseln zu
mittelalterlichen Schlachtenszenen unter Zeppelinen in futuristischem,
blutrotem Neonlicht. Das stramme SED-Büro steht dem westdeutschen Waffenhandel
und Polizeigeschwader vor der Hiphop-Bling-Stil der Wirtschaftswundergermania gegenüber.
In einer anderen Szene schlagen sich die Ritter unter ihrem Schwert zu
Kleinholz und werden daraufhin wie in einem Fantasy-Computerspiel mit einem
Zauber wiederbelebt. Der strahlende Ritter nimmt als Symbol eine zentrale Rolle
in der rechten Weltanschauung ein. Denn nur wer glaubt, im Sinne der edlen
Sache zu handeln, kann sich im Namen dieser Illusion horrende Verbrechen
rechtfertigen. Gehüllt in die goldene Rüstung lässt sich leicht über die vermeintlich
Unwürdigen und angeblich Unreinen herfallen. Überlegenheitsdenken mündet in
Überheblichkeit und wird tief fallen. Das Video extrapoliert und setzt
richtiger Weise stets beide Seiten (das heroische Reinheitsideal und die
blutige Gewalt, die auf das Reinheitsdenken folgt) in eine Beziehung zueinander,
was dann eine zerstörerische Bildgewalt entfesselt. So wird das Pathetische zum
Pathologischen. Wer diese Kontinuität nicht versteht, kann auch rechte
Weltbilder nicht präventiv verhindern und auf ein „zu spät!“ folgt dann stets
ein „Wir haben von nichts gewusst!“ (oder die Emigration). Das Video demaskiert
die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten nationalistischen Denkens und
positioniert sich aus der nationalistischen Sprache heraus in Opposition dazu.
Germania ist schwarz
Ruby
Commey spielt die Germania mit eisiger Eleganz. Bild und Text verkörpern dabei
auf gekonnte Weise das zwiespältige Verhältnis des modernen Deutschlands zu
sich selbst. Es kann als Zeitzeugnis, aber auch als Warnung verstanden werden. In
der kontroversen Szene mit den gehängten KZ-Häftlingen sieht man im Hintergrund
bereits die V2-Raketen in Richtung kalten Krieg abheben. Am Galgen hängt ein
„Fotografieren verboten“-Schild. Die Erinnerung an die Lager ist Kultobjekt,
der Umgang mit den Wernher von Brauns auf der Welt ebenso wie mit den
tribalistischen Zwangsneurosen im Nationalismus an sich offenbar nicht. Die
bücherverbrennenden Nazis scheinen sich mit den hexenverbrennenden Inquisitoren
prächtig zu verstehen.
Deutschland
kann und darf seine Geschichte der Widersprüche nicht verstoßen, aber es darf
sie gern in einem größeren Kontext betrachten. Die Nationalsozialisten kamen
schließlich auch irgendwo her und nicht aus der Hölle. Es ist die Konstruktion des
Überlegenheitsdenkens, die überwunden werden muss. Allein deswegen schon ist Germania
schwarz besetzt worden, denn Konstruiertes lässt sich stets neu denken, auch
wenn es sich als selbstverständlich präsentiert. Ohne Selbstreflektion kehrt
die Germania (oder etwas Vergleichbares) in all ihrer ideologischen Verblendung
stets im neuen Gewand zurück. Mit ihrem rasanten Ritt durch das deutsche
Nationalnarrativ leistet Rammstein hierzu nun einen wichtigen Beitrag. Ob aus
kommerziellem Interesse oder nicht ist irrelevant. Vom Spielball der
Religionskriege zur späten Nationalgründung, beeinflusst von der Rivalität
zwischen dem protestantischen Preußen im Norden und dem katholischen Süden der
Bayern und Habsburger. Mit Marx und Engels Geburtsort des Kommunismus, mit
Martin Luther des Protestantismus. Historische Schuld an den schlimmsten
Verbrechen des Faschismus. Ein Land, das schon vor BRD und DDR mehrfach
zerbrochen und wieder zusammengewachsen ist. Land der Dichter und Denker,
Ideologien und (hoffentlich) einmaligen Massenmorde.
Link zum Video: https://www.youtube.com/watch?v=NeQM1c-XCDc
________________________________________________________________________________
@ LeO Tiresias
Politik und Kultur
Für Fragen und Anregungen, schreibe mir eine E-Mail unter leotiresias@gmail.com oder besuche mich auf meinen Social-Media-Seiten!
Comments
Post a Comment