Bipolares Aufräumen



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Nach Ordnung verlangt es der Welt! Wer kennt es nicht, dieses befreiende Gefühl, wenn ein eingestaubtes Zimmer wieder glänzt, die neuen Bücher durchalphabetisiert sind und der Schrank aussieht wie ein gescheitertes Tetris-Level aus ineinandergreifenden Bausteinen?
– Nun all diejenigen, die sich in ihrem gepflegten Chaos wohlfühlen. Dieses Chaos der Ordnung, in dem jedes gebrauchte Ding seinen verwinkelten Stammplatz besitzt und alles andere irgendwie zu Erinnerungsschichten sedimentiert. Sind diese Menschen verlorene Geschöpfe? Nein natürlich nicht und auch jene, die ihre Wohnungen aussehen lassen wollen wie Ikea-Möbelprospekte haben ihre Daseinsberechtigung.

Es wäre aber nicht das Zeitalter der Selbstoptimierung, hätte die Öffentlichkeit nicht einige Einwände vorzubringen. Schließlich gilt es im 21. Jahrhundert zu entschlacken, Ballast abzuwerfen und hübsche Instagram-Fotokulissen vorzuweisen; man ist sowieso kaum mehr zuhause zwischen flexiblen Arbeitszeiten, Partnerschaft und Familie. Bei Jordan B. Peterson steht ein unaufgeräumtes Zimmer für einen unaufgeräumten Verstand. Deswegen müssen Hummer ihr Gerümpel wegschaffen, bevor sie sich mit ihren Problemen an die politische Öffentlichkeit wagen dürfen, (außer in den eigenen Youtube-Videos). Im Bücherhandel und auf Netflix hat Marie Kondo das Aufräumen in den fünf Schritten der Konmari-Methode systematisiert. Es scheint nicht verwunderlich, dass sowohl 12 Rules for Life als auch Magic Cleaning 1 & 2 in der Buchhandlung im Umkreis von Selbsthilferatgebern und positiver Lebensführung ihren Platz gefunden haben.

Kopf in den Sand

Inwiefern JP durch seine Strohmännchen im postmodernen Marxismus (einen Widerspruch in sich) problematisch ist, sollte hinlänglich bekannt sein. Das Phänomen Jordan Peterson geht aber über die groben akademischen Fehler, die einem Professor der Psychologie eigentlich nicht passieren dürfen, hinaus. 12 Rules for Life steht umgangssprachlich für eine Männlichkeitskrise und die Sehnsucht nach dem fürsorglichen, verantwortungsbewussten und disziplinierten Mann (von gestern). Das moderne Mannkind habe die Verantwortung verlernt und soll sich nun den Hemdansatz in den Hosenbund stopfen, vom Computer aufstehen und sich einen richtigen Sinn im (Wirtschafts-)Leben suchen. Starten soll das neue Leben dort, wo eigentlich ein Ruckzugsort sein sollte: im Eigenheim.

Dumm nur, wenn man vor Barrieren steht, die man selbst nicht errichtet hat. Für JP scheitert nur derjenige, der sein Haus nicht richtig im Griff hat. Dass strukturelle Probleme wie Alltagsrassismus, Geschlechterdiskriminierung, Klüngelwirtschaft, fehlendes Startkapital und psychische Probleme zu Hürden des Erfolgs werden können, verneint Peterson. Dabei gehören all diese Faktoren zu einer Realität, die der kanadische Psychologe schlichtweg nicht kennt. Eine Wettbewerbsgesellschaft ist eine Vorteilsgesellschaft und Vorteile sind für jene, die sich ihrer bemächtigen, meistens unsichtbar. Hier darf man sich allerdings auch nicht auf der simplen Rhetorik der Linksliberalen ausruhen, deren Vogueness nichts anderes ausspart als die wichtigste Quelle von Konflikten: Die ungerechte Verteilung ökonomischer Ressourcen. Vegane Milchshakes, Hipster-Dutts und Apple-Computer müssen eben auch bezahlt und hergestellt werden.

Marie Kondo tritt demgegenüber erst einmal ganz anders in Erscheinung. Höflich und ruhig, eine angenehme disziplinierte Persönlichkeit – Die Verkörperung der passiven Frau. Peterson zeichnet sich aus durch das, was er sagt. Kondo wird zu dem, was sie ist, durch das, was sie repräsentiert. Während Peterson damit hauptsächlich junge, frustrierte Männer anspricht, richtet sich Marie Kondo in erster Linie an Frauen, die eine Verbindung zum inneren Wohlgefühl suchen. Auch hier wird die Wohnungseinrichtung zum Spiegelbild der eigentlichen Seelenverfassung aufgewertet. Sie soll Funken der Freude versprühen. Während JP sich im Mainstream, den er unterstützt, als unbequem inszeniert, verhält sich Marie Kondo passiv, geduldig und unpolitisch. Unsichtbar möchte man sagen.

Ich glaubte es zunächst nicht, als ich durch einen Artikel von David Hugenick bei Zeit online auf das Phänomen aufmerksam wurde, aber Aufräumen mit Marie Kondo schaut sich tatsächlich wie eine Mischung aus Schöner Wohnen und einer Tantra-Massage am Eigenheim. Hier vereint sich analytische Systematisierung mit orientalistischer Mystik. Die magische Frau aus Fernost zeigt der vermüllten Amerikanerin die Magie des Aufräumens bzw. die aufräumende Magie der Konmari-Methode. Japan spielt im Blick des Westens schon lange diese Rolle als Halbleiter vermeintlich asiatischer Esoterik. Hinter diesem Mantel aus Stereotypen verbergen sich aber eher europäische Wunschvorstellungen aus der Romantik und dem Idealismus. Klar, es spricht die Hausfrau auf Sinnsuche an, die sich in der Buchhandlung tibetische Weihrauchstäbchen kauft und Glückskeksweisheiten auf Instagram teilt. Es verhilft ihr zu Ablenkung und Marie Kondo hat, im Wirtschaftsdeutsch gesprochen, ihr Markenprofil geschärft.

Sowohl JP als auch Marie Kondo verkaufen eine Rückbesinnung oder einen Rückzug ins Private, während um uns herum allerlei Probleme kollektive Lösungen erfordern. Das bipolare Aufräumen hält daran fest, dass keine Medikamente erforderlich sind und die manische Phase mit all ihrer produktiven Ruhe über das Sortieren des Kleiderschranks und das Bücherregal hinweg anhalten wird. Die latente Botschaft ist kinetisches ASMR: Alles wird gut, solange ihr euer Haus in Schuss haltet. Bewegtes Nichtstun im Dienst des Status Quo. Anders formuliert: Viel interessanter wäre es doch, sich einmal damit zu beschäftigen, warum so viel Unsinn die Wohnungen in westlichen Gesellschaften verstopft und warum uns das jetzt interessiert?

Konsum und Verstand

Zunächst einmal handelt es sich bei der Aufräum-Manie um ein Wohlstandsphänomen. Es gibt immer noch Teile der Welt, wo Plastikflaschen zu Sandalen recycelt werden, oder wo sich die Frage nach dem Minimalismus erübrigt, weil der Wohnraum bereits so komprimiert ist, dass kein Platz verschwendet werden kann. Um leeren Raum genießen zu können, muss man sich erst einmal leisten.

Außerdem ist es eine Fiktion, hinter jeder Kaufentscheidung rationales Denken zu sehen. Wer behauptet, er kaufe nur das, was er wirklich braucht, betrügt sich selbst. Man mag auf das stundenlange Surfen in Vergleichsportalen vor dem Kauf eines neuen Fernsehers oder Laptops stolz sein; dann kauft man auf dem Rückweg einen Plastik-Dackel, der lustig wackelt. Werbung ist Gedankenmanipulation (natürlich keine Kontrolle, aber Einflussnahme) und das lernt man auch, wenn man sich einmal mit Marketing auseinandersetzt. Die Zaubertricks der Branche stützten sich nicht umsonst vielfach auf Studien aus der Psychologie und Sozialwissenschaft. Das bipolare Aufräumen ist ebenso wie der oberflächliche Konsumverzicht ein Symptom einer inneren Unruhe. Jordan B. Peterson und Marie Kondo bieten in geschlechterspezifischer Sprache Linderung, aber keine Heilung. Die Unruhe wird nach außen geschoben, ebenso wie überholte Rollenbilder in die durch die Postmoderne zersetzten privaten Räume zurückkehren.

Nicht umsonst meinte Jordan Belfort, verkörpert von Leonardo DiCaprio: Verkaufe, indem du eine Nachfrage schaffst. Hier eine Liste aus eigenen Erfahrungen und Wissensbeständen:
  1. Assoziiere das Produkt mit Status, auch wenn es so nutzlos ist wie ein Diamant
  2. Assoziiere das Produkt mit Identifikationsfiguren, die Geld brauchen oder sich nicht mehr wehren können
  3. Assoziiere das Produkt mit erotischem Begehren, auch wenn es ein Fahrradhelm ist
  4. Schaffe Authentizität und Unmittelbarkeit, z. B. als vollkommen unabhängiger und cooler Influencer
  5. Scheue Seltsamkeiten nicht, sie zwingen Leute stehen zu bleiben
  6. Erzeuge ein Problem, für das nur du die unzureichende Lösung kennst (etwa in Form von Sammelkarten und Selbsthilferatgebern)
  7. Rot ist ein Attraktor, weiß das Stoppschild ebenso wie der Rabatt- und Aktionspreis
  8. Starke Kontraste machen interessante Plakate
  9.  Virales Marketing oder: Bring Nazis dazu, deine Schuhe anzuzünden (Hype-Train/Shit-Storm)
  10. Wenn du nur Müll produzieren kannst, produziere Trash, der ironisch gekauft wird, bevor es cool ist
  11. Assoziiere das Produkt mit Fortschritt, auch wenn das nur heißt, dass deine Firma 3D-Spezialeffekte gekauft hat
  12. Assoziiere das teure (Quinoa-)Produkt mit Gesundheit
  13. Assoziiere das teure Produkt mit Umweltschutz (Greenwashing)
  14. Sprich Subkulturen direkt an (targeted marketing z. B. auf Social Media)
  15. Vertraue auf das Immergleiche und produziere dazu Prequels, Sequels, Reboots und Merchandise. Wen kümmert es, ob die Kunden das Produkt gut finden, nachdem sie bezahlt haben?
  16. Kitsch mit Sentimentalität, Spiritualität, Rebellion oder schlichter Dummheit anreichern
  17.  Marken verkaufen sich besonders dort gut, wo Kinder gemobbt werden, wenn sie sich die Sachen nicht leisten können
  18. Verwundbare Ziele ansprechen und ihnen Lootboxen und Skins verkaufen, mit denen Außenseiter innere Leere füllen können.
  19. Der Klassiker: Betone den Nutzen der Ware

Hier liegt die wahre Magie, die zu der Überfrachtung geführt hat, von der uns nun Marie Kondo befreien will. Es macht daher mehr Sinn, über Regeln einer ethischen Werbung und Produktionsverzicht anstelle von Konsumverzicht zu diskutieren, als über den reaktionären Versuch, dem Wohlstandchaos in den eigenen vier Wänden Herr zu werden. Das ist gut fürs Klima und fürs Gewissen. Schließlich sind wir alle Opfer unserer evolutionären Verkabelung und paktieren täglich mit dem System. Fünf Schritte und zwölf Regeln führen uns da nicht raus. Das sollen sie auch gar nicht. Deswegen sind sie international erfolgreich.

Einige anschauliche und unterhaltsamere Videos zum Thema:

hbomberguy:

Contrapoints:

Peter Coffin:
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LeO Tiresias

Phasmate Nova – Politik und Kultur

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