Rezension: "The Art of Invisibilty" von Kevin Mitnick/Robert Vamosi


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Eines vorweg: Ich habe lange überlegt, was aus diesem Blog werden soll, nachdem ich meine Hauptaktivität auf YouTube verlagert habe (Phasmate Nova hier, lasst mir ein Abo da, wenn euch das interessiert, was ich tue). Da die großen Artikel sehr arbeitsintensiv sind, werde ich hier in Zukunft vor allem kurze Updates zu künstlerischen Aktionen, Rezensionen, Kommentare veröffentlichen. So sehr es Leuten wie mir schwer fällt, sich kurz zu halten, der lange Blogartikel hat sich in unserer schnellebigen Zeit überlebt und ist dem Video-Essay gewichen.
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Kevin Mitnick ist einer der bekanntesten Hacker, von denen ich bisher noch nie gehört hatte. Im Kontext von Privatsphäre im Internet mag das ein Kompliment sein. Oder ein schlechter Witz auf Kosten des Vermarktungsteams. Oder ich bin einfach ahnungslos. Das kann natürlich auch sein. Jedenfalls: Im Laufe der Lektüre dieses Buches habe ich auch meine eigenen Internetgewohnheiten auf die Probe gestellt. Es ist auch für IT-Laien wie mich verständlich. Meistens zumindest. Für Schritt-für-Schritt-Anleitungen muss man dann doch YouTube oder Google durchforsten (siehe YouTube „The Hated One“ und „Techlore“).

Das alles geht aber nicht zulasten der Qualität dieses Buches. Es beschreibt sowohl die nahe Zukunft (FIDO2-Keys etc.), als auch die Gegenwart der Datensicherheit und ist in einem unterhaltsamen und trotzdem rationalen Stil geschrieben. So werden bekannte Geschichten, wie Edward Snowden & Ross William Ulbricht aka „Dread Pirate Roberts“, erörtert, um Fallstricke und Schwachstellen moderner Internetdienste oder bestimmter Internetgewohnheiten anschaulich zu erläutern. Hilfreiche Programmanwendungen werden (allerdings ohne nähere Erläuterung) angeführt, Fachbegriffe erklärt. Hier ist nichts von der Nerd-Aristokratie zu spüren, die viele Techkreise und -ratgeber durchziehen (Ihr Digital Natives wisst, was ich meine). Die Ratschläge staffeln sich von einfach bis extrem nach einer Skala von Otto-Normal-Verbraucher bis zu zwanghaft paranoidem Whistleblower.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für mehr Privatssphäre im Internet: Die Erkenntnis, dass es im 21. Jahrhundert zwischen Smartphone, Clouddiensten, biometrischen Scannern und dem Internet der Dinge kaum noch (undurchdringliche) Privatssphäre gibt. Nichtmal das Tornetzwerk ist mehr unangreifbar. Jede Schutzschicht ist lediglich eine extra Hürde, die man den potenziellen AngreiferInnen vor die Füße wirft, und der technische Fortschritt kann eine Schutzmaßnahme schnell wirkungslos werden lassen. Der Code eines Computerprogramms wird immer Schwachstellen haben und muss uns bei der Digitalisierung immer bewusst sein. Kevin Mitnick wirbt nicht nur für seinen Beruf als Pen(atration)-Tester, also ein Hacker, der seine Fähigkeiten nutzt, um die Sicherheitssysteme von KundInnen, auf ihre Zuverlässlichkeit zu testen. Er erklärt auch den Gedanken hinter Open-Source-Software, die Bedeutung des Torbrowsersystems nicht nur für Kriminelle, sondern auch für Dissidenten und Whistleblower, das Prinzip moderner VPN-Tunnel und Verschlüsselungstechniken, die für Normies hinter kryptischen Kürzeln Fragezeichen verschwinden. In unserer immer komplexer werdenden Digitalgesellschaft ist eine solche Einführung Gold wert, da sie niemanden außen vor lässt.

Es stärkt das autonome Bewusstsein für zumindest alltägliche IT-Vorgänge, die die Leute in die Lage versetzt, im Überwachungskapitalismus unabhängig von teuren ExpertInnen Eigenverantwortung zu übernehmen. Um wirklich unsichtbar zu surfen, muss man es sich natürlich bedeutend unbequemer machen und das ist für die meisten von uns vermutlich auch gar nicht notwendig. Die wenigsten befinden sich akut auf der Flucht vor der Staatsmacht. (Wäre auch nur ein Funken Wahrheit in den Verschwörungsschwurbeleien um #Widerstand2020, würden die angesichts ihres Verhaltens im Internet schon lange in ihren von Bill Gates finanzierten Gefängnissen sitzen).

In Europa sind wir aufgrund der hohen Priorisierung von Datenschutz durch die europäische Union im Vergleich zum libertären Amerika oder dem totalitären China noch relativ privilegiert. Das heißt, dass der Überwachungskapitalismus hier noch nicht wirklich Fuß gefasst hat, aber das kann ja noch werden, besonders, wenn sich die Politik nach Corona weiterhin für Großkonzerne bückt, ohne die Konsequenzen von Datenmissbrauch wirklich zu kommunizieren oder auch nur zu verstehen. Auch stehen wir natürlich trotzdem unter Beobachtung durch die üblichen Verdächtigen (Google, Facebook, Twitter, etc.), sofern wir ihre Dienste denn nutzen.

Stichwort: Google. Inspiriert durch meine Recherche habe ich auch einmal in meine eigenen Googlekonten geschaut und mir lief eine Schauder über den Rücken, was dort alles (nach unveränderten Voreinstellungen) gespeichert wird und demnach der Datenkrake (und solchen, denen es gelingt, in die Datenverliese von Google einzubrechen) prinzipiell zu Analysezwecken zur Verfügung stehen. Unter den Jammermitteilungen der Dienste habe ich dann gnadenlos alles deaktiviert und gelöscht und, oh wunder, alles stand und funktionierte noch. Die Aufräumaktion war Ergebnis eines einzigen Nachmittags. Vermutlich hofft der Konzern wirklich darauf, dass die Leute (und Verschwörungsschwurbler im Besonderen) kaum achtgeben, was über sie an Daten gehamstert wird.

Und noch etwas: Ja, mein Feed in den sozialen Netzwerken hat sich seit dieser Purge tatsächlich verändert, aber nicht zum Schlechteren. Sich mit diesem Thema zu beschäftigen hat auch etwas damit zu tun, Bevormundung durch Digitalkonzerne in Frage zu stellen. Nur falls jemand noch an der Illusion festhält, die Optimierung des Suchverlauf diene seinen oder ihren Zwecken und nicht den Interessen der Werbekunden. Es ist (und das schreibt Kevin Mitnick auch) einfach unfassbar paternalistisch, dass Software-Firmen für uns zu entscheiden wollen, was wir mögen und was nicht. K.I. ist niemals objektiv und gerade das macht sie sehr gefährlich. Man muss nur nach China schauen.

Das Buch ist wichtig, informativ und unterhaltsam.
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LeO Tiresias

Phasmate Nova – Politik und Kultur

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