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Bo Burnham: Inside (2021) ist nicht nur ein Solo-Special über das Engesperrtsein im Corona-Lockdown. Viel mehr dreht sich der Film um die Klaustrophobie der Performanz – das Eingesperrtsein in einer besonderen Rolle, während die Welt völlig identitätslos auseinanderfällt. Es ist der Film von einer und für die Generation der Millenials und Zoomer, die mit all den oberflächlichen Träumen gefüttert wurde, die eine Gesellschaft der Singularitäten (vgl. A. Reckwitz) zu nähren vermag, ohne diese Versprechen unter den Bedingungen eines medialisierten Kapitalismus auch nur ansatzweise halten zu können. Es ist ein Film über Content in all seiner affektiven Willkür, die einer depressiven Leere im Innern gegenübersteht, ein Film über die Isolation der und Isolierung durch die eigene Markenidentität von der Wirklichkeit. Persona und Person von Bo Burnham erscheinen gleichermaßen wie ein Gefängnis, was weder das Verlassen noch das Verbleiben im Haus zu einer Option macht. Aber … was dann? Das ist die zentrale Frage der Generationen, die nach dem Millenium in einer Welt aufgewachsen müssen, die zunehmend von ihren Eltern zerstört wird. Die ganze Absurdität dieser Situation spiegelt sich in der Sprachlosigkeit des eingesperrten Comedians: In der Unfähigkeit zum Lachen, im Zwang zu lachen. Und vor allem: Bo Burnham nutzt dafür Medien und mediale Techniken, die (Bild-)Sprache, unserer Zeit. Bo Burnham: Inside ist eine Absage an die Retromanie, an das Ewiggestrige, obwohl es allen Anlass gäbe vor der Gegenwart in eine (imaginäre) Vergangenheit zu flüchten. Aber Bo Burnham weiß und kommuniziert, dass Nostalgie keine Lösung ist, nur Prokrastination. Keine Hipster-Polaroids und kein Kulturhistorismus, nur blanke Gegenwart gepeinigt und die Ängste vor einer (möglicherweise) verlorenen Zukunft können uns retten.

 

Bo Burnham: Inside konkretisiert die Zweischneidigkeit des Authentizitätsfetischismus, der die Ökonomie des 21. Jahrhunderts mit so viel Treibstoff versorgt und gleichzeitig die Grundlagen der Wirtschaftsform, geschweige denn der Menschheit selbst, zerstört. Diese Herangehensweise ist in einer von Kurator- bzw. Kompositidentitäten (vgl. Simon Reynolds und Andreas Reckwitz) dominierten Welt nach wie vor eine Seltenheit. Wie in einem Reality-TV-Format wird der Reality-Effekt durch die Anwesenheit von Produktionsprozess und -gegenständen im Bild verstärkt. Anders als im Reality-TV wird hier der Blick hinter die Kulissen aber genutzt, um die Illusion selbst zu brechen, das Reale im lacanischen Sinne auszustellen. Produktionsrealität und Bildtraum gehen nahtlos ineinander über, ohne zusammengehören zu dürfen. Man will sie trennen können, aber genau das funktioniert nicht mehr. Die unausweichliche Einheit wird zur Belastung. Das ist mehr als bloße Selbstreferenzialität. Der klassische McLuhan (»Das Medium ist die Botschaft«) funktioniert nicht mehr in einer Gesellschaft, wo Simulation und Wirklichkeit eine unauftrennbare Emulsion bilden. Wie können wir noch davon reden, dass sich ein Medium im Hintergrund unsichtbar macht, wenn die Grenze zwischen realem und virtuellem Handeln selbst verschwindet? Hat Unsichtbarkeit überhaupt noch eine Bedeutung, wenn der Gegensatz zur Sichtbarkeit jegliche Bedeutung verliert? Leugnet man die Relevanz dieser Fragen gerät man allzu leicht in platonische Platitüden (auch wenn man sich vordergründig davon distanziert). Kein Wunder, dass sich die Pillenmetapher aus Matrix derzeit auf allen Seiten des politischen Spektrums solcher Beliebtheit erfreut. Reality-TV ist der innerste Kreis dieser spezifischen Hölle, die von Baudrillard prophezeit worden ist. Hier werden die Realitätseffekte gerade dazu benutzt, um die Fiktion zu verschleiern und durch Kopien ohne Original (Simulacra) zu ersetzen.

 

Bei Bo Burnham: Inside geschieht genau das nicht. Vielmehr enthüllt sich das Reale erst im Zustand der Künstlichkeit, der eingebunden in die Realität der Fiktion mit der Fiktion bricht, um auf einen gesichtslosen Abgrund ohne Namen, Zweck und Ziel – unrepräsentierbar und doch wahrzunehmen – aufmerksam zu machen. Genau haben insbesondere die nicht linguistisch-textbasierten Ansätze der sogenannten Postmoderne nach wie vor Relevanz – vielleicht sogar mehr Relevanz als sie in einer von Fernsehnetzwerken und Magazincovern geprägten Moderne je hatte. Der derzeitige von einem humanistisch motivierten Anthropozentrismus geprägte Backlash gegen den (vermeintlichen) Zynismus des »Anything goes« scheint jedenfalls absolut impotent im Umgang mit der medialisierten Welt des 21. Jahrhunderts. Das betrifft alle politischen Strömungen. Sei es, weil man einen bereits verlorenen Kampf beständig „neu“ inszenieren zu müssen. Sei es, weil die platonischen Platitüden selbst Teil der konsensuellen Halluzination geworden sind, statt sie überhaupt noch hinterfragen zu können. »Apathy is a tragedy, boredom is a crime.« Real ist nur das, was nicht wehtut. »No one is bored, everything is boring.« Vielleicht ist Corona (und Bo Burnham: Inside als der Coronafilm) ein erstes Symptom für einen Wandel.

 

»Whereas Sinclair transforms pop-cultural material into something opaque, obscure and hermetic, Ballard innovated a kind of pulp modernism in which the techniques of high modernism and the riffs of popular fiction intensified one another, avoiding both high cultural obscurantism and middlebrow populism. Ballard understood that collage was the great twentieth century artform and that the mediatised unconscious was a collage artist. Where are his twenty-first century inheritors, those who can use the fiction-kits Ballard assembled in the Sixties as diagrams and blueprints for a new kind of fiction?« (K-Punk 28/04/2009, »The Assassination of J. G. Ballard«)

 

Bisher tat die (sogenannte) Metamoderne so, als wäre ihr zentrales Anliegen die Vermittlung zwischen klassischer Sinnhaftigkeit und (post-)modernistischer Skepsis. Dabei kommt die propagierte Antwort auf die radikale Verweltlichung der Postmoderne, einer verabsolutierten Spektralität gleich. Statt den gothischen Materialismus, die Abwesenheit jeglichen Innenlebens im schwarzen Spiegel als Chance zu begreifen, wird alle Autorität auf die imaginäre, spektrale Reflektion des großen Anderen projiziert. Dieser Geist der Reflektion steht keineswegs im Gegensatz zur Bedürfnisbefriedigung wie sie derzeit gern medial als selbstzerstörerisch gegeißelt wird. Die totgeschwiegene Punchline dieser (vermeintlich) ideologiebefreiten Welt wurde (etwa von Slavoj Žižek) vielfach diskutiert. Allerdings gehen die Schlussfolgerungen in vielen Punkten nicht weit genug, wie man etwa an Der gegenwärtigen Restauration der seriösen, sprich »authentischen«, Philosophie sehen kann, fällt auch die gespielte Ernsthaftigkeit unter die Zwänge der Gesellschaft der Singularitäten. Für Deleuze stand Hegel wie kaum ein anderer Philosoph für die verselbstständigte Bewegung des Geistes, die sich auf der Vorstellungsebene (das geschlossene System, den Raum des unendlich Großen) in impotenter Bewegungsfreiheit einsperrt. Wenn also die Antwort auf die atomisierte Gesellschaft ein neuer Universalismus ist, darf dieser nicht auf vergeistigte Prinzipien zurückgeführt werden oder er macht sich notwendig zu einer Parodie seiner selbst.

 

Der Terror der Authentizität ist unmöglich ohne die vorherige, vergeistigte Institutionalisierung eines Abhängigkeitsverhältnisses. In anderen Worten: Authentizität ist per definitionem nie authentisch (genug). Die Kunstfigur des Authentischen hat materielle Zugkraft als Sehnsuchtsraum. Hier ist die Metamoderne ein Rückschritt vor (Aspekten) der Postmoderne. Corona hat auf der einen Seite gezeigt, wie zerbrechlich die Globalisierung durch freie Märkte im Kern wirklich ist. Auf der anderen Seite verdeutlicht der Verlauf der Pandemie, wie unempfänglich die Gesellschaft in der Mehrzahl für diese Form der Erkenntnis zu sein scheint. Nirgendwo in der Krise wurde dies deutlicher als Beispiel des Tourismus. Warum fiel es den Leuten so schwer, ein oder zwei mal auf ihre Urlaubsreisen zu verzichten und zuhause zu bleiben? (Ganz davon zu schweigen, dass der Verzicht aufs Reisen dauerhafte Lebensrealität für viele verarmte Haushalte ist.) Warum war es unmöglich zuhause zu entspannen und das Geld zur Seite zu legen, um sich dann vielleicht im Jahr nach der Pandemie eine größere und schönere Reise zu leisten? Stattdessen nahm man die Gefahren von Infektion und Verbreitung in Kauf, akzeptierte die Verstümmelung vom eigenen Reiseerlebnis durch Quarantäne, Masken- und Testpflicht, geschlossene Attraktionen etc., nur um die Reise erlebt zu haben. Dieser Wahnsinn funktionierte trotz der gegenwärtigen biopolitischen Gesundheitsbesessenheit und wurde entgegen aller Logik immer wieder zum Politikum. Es ist kein Geheimnis, dass die Tourismusindustrie existiert, um Erinnerungen zu produzieren und zu verkaufen (vgl. Valentin Groebner). Aber wer bzw. was hat hier die Kontrolle? Suchen wir die Reise oder sucht die Reise uns? Sind wir in der Mehrzahl nicht besessen von einer wiederholbaren, eingetüteten Vergangenheit, die sich als Zukunft präsentiert?

 

Der Raum, in dem Bo Burnham Zu/flucht sucht, ist so viel mehr als ein Sachzwang. Wir sehen hier das Knochengerüst der Authentizität in der Sprache der Gegenwart. Statt in der Matrix, sollten wir unsere politischen Analogien in The Shining suchen, denn wir alle sind Jack Torrence – eingesperrt und integriert in die geschlossenen Kreisläufe des Overlook-Hotels, dazu verdammt die Vergangenheit zu dramatisieren bis der Wahnsinn uns einholt und das Haus, das uns umschließt, in die Luft fliegt (Stephen King) oder im innersten Kreis der Hölle zufriert (Stanley Kubrick). Wir wollen dem Haus entfliehen, aber zugleich ist es eine sehr reale Zuflucht, denn es war immer da: Eine Zu/flucht. Am Ende des Specials wird Bo Burnham von einem strahlenden Licht nach draußen gezogen. Umgeben von der Nacht: Der nächste perfekte Lichtkreis. Künstlicher Applaus in der entkörperlichten Dunkelheit. Die Tür fällt ins Schloss. Als er erkennt, dass das Außen genauso künstlich ist wie der Raum, versucht er wieder ins Innere zu flüchten. Doch er kann nicht zurück. Ausgesperrt. Spektraler Applaus wird spektrales Gelächter. Der Humor eines Poltergeists.

 

Wahrhaftig revolutionär ist nicht die Erkenntnis, dass die Schattenbilder an der Wand nicht echt sind. Man kann der Höhle nicht entkommen, denn die gesamte Menschheitsgeschichte hat in einer einzigen Höhle, einem einzigen Raum, einem Haus abgespielt. Alles, was sich ändert, sind die Schattenbilder an der Wand: Die Heimsuchungen. Es ist keine Überraschung, dass ein Virus uns diese Lektion erteilt – jener biologischer Inbegriff untoter Handlungsmacht, deren Existenz das »authentische« Handeln der Metamoderne so vehement leugnet. Es lebt nicht, aber es bewegt sich. Es lebt nicht, aber es bewegt uns.

 

Lebt es? … Leben wir?

 

Weiterführend:

Deleuze, Gilles (1968/1994). Difference and Repetion. Translated by Paul Patton. London: Bloomsbury.

Fisher, Mark (2018). K-Punk. The Collected and unpublished writings of Mark Fisher (2004-2016). Edited by Darren Ambrose. Foreward by Simon Reynolds. London: Repeater Books.

Fisher, Mark (2014). Ghosts of my life. Writings on depression, Hauntology and lost futures. Winchester/Washington: Zero Books.

Fisher, Mark (2009). Capitalist Realism. Is there no Alternative? Winchester/Washington: Zero Books.

Fisher, Mark (1999/2018). Flatline Constructs: Gothic Materialism and Cybernetic Theory-Fiction. Forward by exmilitary. New York: exmilitary press.

Groebner, Valentin (2018)2. Retroland. Geschichtstourismus und die Sehnsucht nach dem Authentischen. Frankfurt a. M.: S. Fischer.

Nietzsche, Friedrich (2012). Gesammelte Werke. Köln: Anaconda Verlag.

Reckwitz, Andreas (2017). Die Gesellschaft der Singularitäten. Berlin: Suhrkamp.

Reynolds, Simon (2011). Retromania. Pop Culture’s Addiction to ist own past. London: Faber and Faber Ltd.

Spinoza, Baruch de (1677/2019). Die Ethik. Aus den lateinischen von Berthold Auerbach. Hamburg: Nikol Verlag.

Stirner, Max (1844/2019). Der Einzige und sein Eigentum. Ok Publishing.

 

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